1937 erwarb Winston Churchill einen Papagei, taufte ihn auf den Namen Charlie und machte sich umgehend daran, ihm die derbsten Flüche beizubringen. Während des Krieges nahm Charlie häufig an den Krisensitzungen teil, die Churchill leitete. Dort zeterte er ständig, erschreckte die Minister und krächzte bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit "Fuck Hitler!" oder "Fuck the Nazis!" Charlie hat kürzlich seinen 104. Geburtstag gefeiert. Es geht ihm prächtig, er ist geistig kaum weniger rege als zu seinen besten Zeiten. Und nach wie vor hat er die Angewohnheit, Churchills Stimme täuschend echt nachzuahmen und gegen Hitler und die Nazis zu wettern.
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Charlie hat viel gemeinsam mit der Französin Jeanne Calment, die 1997 im Alter von 122 Jahren starb - womit sie nachweislich den absoluten Weltrekord in Langlebigkeit hält. Madame Calment fuhr noch mit 100 Jahren Fahrrad und war noch mit 110 Jahren im Stande, sich selbst zu versorgen. Sie musste erst 118 werden, bis sie sich entschloss, endgültig mit dem Rauchen aufzuhören. Und als sie ihren 121. Geburtstag feierte, konnte sie noch dazu überredet werden, eine Techno-Platte aufzunehmen.
Ein merkwürdiges Phänomen: Menschen, die steinalt geworden sind, trotzen jeder Statistik. Wenn sie einigermaßen gesund geblieben sind, sind sie oft rüstiger als viele derjenigen, die ein oder zwei Jahrzehnte weniger auf dem Buckel haben.
Fortpflanzung und Tod
Alle Lebewesen, die sich sexuell fortpflanzen, sind dazu verdammt, zu altern und zu sterben. Warum das so ist, ist noch nicht völlig geklärt. Nach Auffassung der Evolutionstheorie konzentriert sich die natürliche Selektion darauf, die Gene auszusieben, die sich schon früh als schädlich oder tödlich erweisen. Hingegen gibt sie sich kaum mit solchen Genen ab, deren negative Auswirkungen sich erst in höherem Alter bemerkbar machen. Doch was passiert, wenn man die Selektion durch manipulative Eingriffe dazu veranlasst, sich intensiver um in die Jahre gekommene Organismen zu kümmern? Man kann so tatsächlich ihr Altern künstlich verzögern. Vor einiger Zeit ist es gelungen, die Lebensspanne von Fruchtfliegen mehr als zu verdoppeln.
Eine andere Theorie behauptet, dass die DNA im Lauf der Zeit morsch wird - mit der unausweichlichen Folge, dass mehr und mehr genetische Informationen auf der Strecke bleiben und fehlerhafte Proteinsynthesen sich häufen. Wieder andere Theorien behaupten, dass das Altern in erster Linie auf chronischen Stress, das Wirken von speziellen Todesgenen oder Todeshormonen, auf sich mehr und mehr ausweitende und sich gegenseitig hochschaukelnde Kommunikationsstörungen zwischen den Zellen, auf die steigende Konzentration von Schad- und Abfallstoffen im Körper oder schlicht auf Abnutzung und Verschleiß zurückzuführen ist.
Des weiteren wird angenommen, dass es dem Organismus schließlich zum Verhängnis wird, dass er die freien Radikale nicht mehr in Schach halten kann, die er in immer größeren Mengen selbst produziert. Und dann gibt es noch die Stoffwechseltheorie, die postuliert, dass alle Lebewesen bis zu ihrem Tod ungefähr die gleiche Energiemenge verbrauchen - mit dem einzigen Unterschied, dass manche mit der Energie verschwenderisch, andere dagegen sparsam umgehen.
Letzter Forschungsstand
Der Wissenschaftsjournalist Manfred Reitz kann in seinem Buch "Prinzip Uhr-Gen" zwar keine neue Theorie des Alterns anbieten. Aber dafür arbeitet er bis ins letzte Detail heraus, was in den Molekülen, Zellen, Geweben und Organen vor sich geht, wenn Menschen altern. Eine herausragende Studie, gespickt mit Erkenntnissen, die fast ausnahmslos auf dem letzten Stand der Forschung sind. Wer allerdings immer noch von ewiger Jugend oder von einem ewigen Leben vor dem Tod träumt, sollte von diesem Buch besser die Finger lassen. Die Lektüre könnte mit einer schweren Depression enden.
Manfred Reitz: Prinzip Uhr-Gen. Wie unser Altern programmiert ist. S. Hirzel Verlag, Stuttgart 2004. 247 S., ca. 18 Euro.