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Wie aus Wasser Eis wird

Von Eva Stanzl

Wissen
Eiskristalle am Fenster: Wie aus Wasser Eis wird, entscheidet eine Teilchenwolke zufällig. Foto: Corbis

Wissenschafter kommen einem Rätsel der Physik näher. | Nicht nur die Größe des Kristallkerns ist ausschlaggebend. | Wien. Teichenbeschleuniger simulieren den Urknall und geben damit Aufschluss über den Ursprung des Lebens. Quantenphysiker verschränken Ionen, sodass diese ohne Zeitverzögerung miteinander kommunizieren als handle es sich um Gedankenübertragung. Vor dem Hintergrund dieser Fortschritte ist es kaum zu glauben, dass Physiker noch immer rätseln, wie Flüssigkeiten gefrieren. Doch das tun sie. Nun sind sie dem Geheimnis einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Und bezeichnen ihre Ergebnisse als "Revolution".


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"Einer der Gründe, warum Hochenergiephysik und Teilchenphysik so weit sind, ist weil sich diese Systeme im Experiment gut vereinfachen lassen", erklärt Christoph Delago, Dekan der Fakultät für Physik der Universität Wien. "In der Natur gibt es jedoch äußerst komplizierte Prozesse. Eine lebende Zelle ist eine Ansammlung von Atomen und Molekülen, die sich unterschiedlich benehmen. Zu wissen, wie genau solche Vielteilchen-Systeme funktionieren, ist sehr schwierig." Erst jetzt habe die Festkörperphysik die Computer zur Verfügung, die leistungsstark genug sind, um diese Systeme zu simulieren.

Die Frage, wie Wasser zu Eis wird, beschäftigt die Menschen seit je her. Dabei dreht es sich stets um das Rätsel, was das Wasser daran hindert, direkt am Gefrierpunkt sofort zu Eis zu erstarren. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die "klassische Nukleationstheorie" formuliert. Sie besagt, dass auf Wasser basierende Flüssigkeiten im Zuge des Gefrierungsprozesses kleine Keime von Kristallstrukturen bilden. Jene Keime, die eine gewisse kritische Größe erreichen, wachsen schließlich unaufhaltsam und zerstören die kleinen. So lange, bis das Wasser ein Eisblock ist.

Die Computersimulationen von Delago aus Wien und seinem ehemaligen Dissertanten Wolfgang Lechner vom Vant Hoff Institute for Molecular Sciences der Universität Amsterdam haben jedoch einen Schönheitsfehler in der Theorie zu Tage gefördert. Demnach wachsen manche Keime, die dafür eigentlich zu klein sind, und werden andere, die groß genug wären, wieder vom Feld gejagt. Also müssen die kristallinen Keime zusätzliche Eigenschaften besitzen, die sie zum Wachsen bringen, so die Forscher. Zunächst konnten sie zeigen, dass die Keime keine einheitliche Struktur haben, sondern wie eine Zwiebel aus mehreren Schichten aufgebaut sind.

Nur der innerste Kern besteht aus der eigentlichen Kristallstruktur. Dieser Kern ist umgeben von einer Wolke aus Teilchen, die zwar bereits eine gewisse Form aufweisen, sich jedoch noch nicht entschlossen haben, eine bestimmte Kristallstruktur anzunehmen. "Entscheidend für das Wachstum des Keims ist, ob sich die Teichen an den Kern anlagern", sagt Delago: "Wenn der Teilchenwolke-Puffer groß genug ist, können auch kleine Keime wachsen, die es von sich aus nicht schaffen würden."

Der Effekt könne am Beispiel von politischen Revolutionen verdeutlicht werden. Noch vor wenigen Monaten wären Keime der Demokratie in Ägypten in kürzester Zeit vom alten Regime aufgelöst worden. Diesmal aber nicht. Bei den Demontrationen Ende Jänner standen Frauen und Männer dicht gepackt da, entschlossen. Doch die Gruppe wuchs erst, als jene Menschen, die aus Unzufriedenheit auf den Tahrir Platz in Kairo kamen, sich dem Protest anschlossen. "So veränderte sich schließlich das ganze Land", fassen die Forscher in "Physical Review Letters" zusammen.

Zufallsprinzip entscheidet

Die Teilchenwolke ist also entscheidend dafür, ob ein Kristall-Keim wachsen oder schrumpfen wird - also für Sieg oder Niederlage. Nur warum sie sich entscheiden, ist offen. Derzeit gehen die Forscher davon aus, dass das zufällig geschieht: "Nur wenn zufällig genügend Moleküle sich anlagern, wächst der Keim", sagt Delago. Doch wer weiß.

LinkStudie 'Physical Review Letters'