Leitartikel
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Mitunter geschehen Dinge, die zu vielen zu gut in die Hände spielen. Der militärische Zwischenfall in unmittelbarer Nähe zur russisch annektierten Halbinsel Krim, bei dem Moskaus Militär Schiffen der ukrainischen Marine die Einfahrt ins Asowsche Meer verweigerten, ist ein solcher Fall. Dass ist natürlich noch lange kein Beweis für irgendetwas, aber es sollte bei allen, die sich nun auf die Suche nach Erklärungen und Schlussfolgerungen begeben, für ein Mindestmaß an Skepsis sorgen.
Beginnen wir mit dem Russischen Bären, diesem Riesen auf tönernen Füßen. Unter Wladimir Putin ist Moskau dank Rohstoffen, Atomwaffen und der üppigen Bereitschaft zum Einsatz militärischer Mittel für politische Zwecke wieder ein globaler Spieler. Mit der Annexion der Krim und der ungenierten Unterstützung Russland-affiner Separatisten hat es Putin geschafft, die Ukraine auf unabsehbare Zeit zum Pufferstaat zwischen sich und der Nato zu halten. Und die Krim verhalf ihm vorübergehend sogar zum Status eines Nationalhelden.
Dabei kann sich Russland seine eigene Außenpolitik gar nicht leisten, jedenfalls nicht wirtschaftlich. Statt dass das Kapital russischer Oligarchen wie derzeit nach Europa und Nahost fließt, müsste europäisches und anderes Geld in Massen nach Russland fließen, um dessen rückständige Wirtschaft zu erneuern und zu diversifizieren. Aber militärisches Muskelspiel ist einfacher und bringt zudem kurzfristige Pluspunkte auf der Imageskala daheim.
Nun zur Ukraine, dem Schlüsselstaat an der europäischen Peripherie. Für die EU und den Westen steht in Kiew viel auf dem Spiel, entsprechend stark sind beide für die dauerhafte Westbindung der Ukraine engagiert – politisch, wirtschaftlich, sicherheitspolitisch. Nur ein Nato-Beitritt kommt aufgrund des kriegsähnlichen Zustands mit Russland für den Westen nicht in Frage. Das ist eine zu riskante Beziehung für ein Bündnis mit der Pflicht zum militärischen Beistand.
Zumal die politischen Eliten in Kiew durchaus wissen, wie sie aus dem Gegensatz zu Russland für sich den größten politischen Nutzen ziehen können. 2019 ist in der Ukraine ein Superwahljahr, in dem sowohl Präsident als auch Parlament neu gewählt werden. Dass Präsident Poroschenko, dem nicht gelingt, die endemische Korruption in seinem Land zu bändigen, für 30 Tage das Kriegsrecht ausgerufen hat, bedeutet den Start in den Intensivwahlkampf auf einem hochgefährlichen Pulverfass.
An Europa ist es dabei, kühlen Kopf zu bewahren und den Überblick zu bewahren. Dazu zählt, dass die Aggressionen von Russland ausgehen. Das macht die Ukraine noch lange nicht zu einem Heiligen, aber es muss Europas Position bestimmen.