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Erster Probelauf am Bundesverwaltungsgericht.
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Wien. Justitia, Allegorie der Gerechtigkeit, wird oft mit Augenbinde dargestellt - ursprünglich spotthaft wegen der vermeintlichen Blindheit der Justiz, später dann als Symbol der Überparteilichkeit der Justiz. Was als Symbol willkommen ist, ist in der realen österreichischen Justiz bis heute unmöglich. Blinde oder stark Sehbehinderte können in Österreich weder Richter noch Staatsanwälte werden. Geht es nach den österreichischen Juristen, soll sich das bald ändern.
Am Donnerstag forderten die Notariatskammer, der Rechtsanwaltskammertag, die Vereinigungen der Richter und Staatsanwälte und das Institut für Rechtsentwicklung an der Uni Wien bei einer gemeinsamen Enquete anlässlich des fünften Jahrestages der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Öffnung der Justiz für Blinde.
In Deutschland und Frankreich kein Problem
Andernorts ist die Inklusion von Sehbehinderten in die Justiz deutlich weiter fortgeschritten. In Frankreich etwa ist der blinde François Falletti seit 2010 Generalstaatsanwalt beim Pariser Appellationsgericht und Chef von 360 Anklägern. Auch in Deutschland sind Blinde in Rechtsberufen seit Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit. Mehr als 70 blinde Richter gibt es in der Bundesrepublik.
In Österreich wehrt sich das Justizministerium gegen eine derartige Öffnung. Zwar wurde im Jahr 2006 das Kriterium der körperlichen Eignung für den Richterberuf gestrichen - derzeit gibt es rund zwei Dutzend Richter mit Behinderungen, aber eben keine blinden. Im Vorjahr argumentierte Justizministerin Beatrix Karl ihre ablehnende Haltung in einer Anfragebeantwortung folgendermaßen: Richter hätten "strittige Sachverhalte zu entscheiden, zu deren Aufklärung es notwendig ist, sich einen persönlichen und unmittelbaren Eindruck zu verschaffen, was - neben einer gewissen Mobilität - vor allem die uneingeschränkte Fähigkeit zu unmittelbarer Wahrnehmung (und zwar auch in optischer und akustischer Hinsicht) erfordert."
Diese Ansicht teilt Petra Bungart keineswegs. Die 44-Jährige ist blind und seit 10 Jahren Richterin beim Amtsgericht Duisburg. Bei Lokalaugenscheinen etwa habe es "nie eine Situation gegeben, die ich nicht erfassen konnte". Das Nicht-Sehen gleicht sie mit technischen Hilfsmitteln und einer Assistentin aus.
"Blinde habenBilder im Kopf"
Auch Alexander Niederwimmer von der Landespolizeidirektion Oberösterreich muss nicht sehen, um sich ein Bild zu machen. "Blinde haben Bilder im Kopf", sagt der Polizeijurist, die durch Fragen geformt würden. "Das dauert zwar etwas länger, ist aber genauer."
Abgesehen vom Widerstand des Justizministeriums gibt es noch weitere Hürden für blinde Juristen. Während es zum Beispiel an den Universitäten die Möglichkeit von Ausnahmen von der Prüfungsordnung gibt - um auch Behinderten ein Ablegen zu ermöglichen -, gibt es das bei Richteramts- oder Anwaltsprüfungen nicht, kritisiert Reinhard Klaushofer von der Uni Salzburg.
In der Richterschaft selbst ist man durchaus offen für blinde Kollegen. "Mir wurden heute die Augen geöffnet", erklärte Werner Zinkl, Präsident der Richtervereinigung. Einfacher wäre es aus seiner Sicht freilich, wenn die Richter nicht zu "Universalrichter in allen Sparten" ausgebildet würden. In reinen Aktenverfahren etwa wäre Blindheit "kein Problem", so Zinkl.
Was den Richtern aber Sorgen bereitet, ist die Tatsache, dass behinderte Kollegen keine Möglichkeit haben, Teilzeit zu arbeiten. "Das wäre für viele eine große Erleichterung", so Zinkl.
Ein "Praktikumsplatz"als Eisbrecher
"Wir haben größtes Interesse, dass die Richter die Gesellschaft widerspiegeln", erklärte Sektionschef Georg Kathrein, der das Justizministerium bei der Enquete vertrat. Natürlich gebe es "beharrende Kräfte" im Ministerium, schließlich gehe es bei Gericht auch um die Akzeptanz der Streitparteien. Das Hauptproblem sei aber, "dass wir keine Kultur haben, dass Blinde in Justizberufen arbeiten". Aber "ich glaube, man sollte sich auf das Abenteuer einlassen".
Eine Chance dazu gibt es beim neuen Bundesverwaltungsgericht, das Anfang kommenden Jahres seinen Dienst aufnimmt. Dort soll laut Gerichtspräsident Harald Perl ein Arbeitsplatz "blindengerecht eingerichtet" werden. Was fehle, sei die praktische Erfahrung mit blinden Richtern, so Perl. Das Pilotprojekt im Bundesverwaltungsgericht soll nun die nötige Erfahrung in der Praxis bringen und könnte letztlich das Eis brechen und den Weg für Blinde in der Justiz freimachen. Denn wie ein sehbehinderter Anwalt erklärte: "Wir können das gleiche leisten - wenn auch mit etwas mehr Aufwand." Dazu braucht es aber nicht nur eine Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, waren sich die Enquete-Teilnehmer einig, sondern auch "ein Abbauen der Barrieren in den Köpfen".