Zum Hauptinhalt springen

Wie der Krieg die Forschung verändert

Von Eva Stanzl

Wissen

Das Zerwürfnis zwischen Moskau und dem Westen beeinflusst die Dynamik der wissenschaftlichen Zusammenarbeit.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Vom Klimawandel bis zu nachhaltigen Energien, von der Gesundheit über die Ernährungssicherheit bis zur Digitalisierung, von der Raumfahrt bis zu den Anfängen des Kosmos: Das Zerwürfnis zwischen Moskau und dem Westen verändert die Dynamik auch in der globalen Forschungszusammenarbeit. Diese Woche haben die Europäische Weltraumorganisation (ESA), die Europäische Organisation für Kernforschung (Cern) und weitere Akteure der internationalen Forschung Kooperationsprojekte mit Russland wegen des Ukraine-Kriegs eingeschränkt oder gestoppt. Auf beiden Seiten sind Wissenschafter betroffen.

Teure, technisch anspruchsvolle Infrastrukturen, die zur kooperativen Erforschung großer Themen nötig sind, müssen von vielen Ländern gemeinsam finanziert werden. Sie seien vom Krieg besonders betroffen, wie das Europäische Strategieforum für Forschungsinfrastrukturen in Brüssel in einem Statement hervorhebt.

Beispiel: Der Leiter eines grenzüberschreitenden neurowissenschaftlichen Forschungsprojekts in Frankreich steht vor einem Scherbenhaufen. Von heute auf morgen seien zehn Jahre Forschungsarbeit über den Haufen geworfen worden, sagt der in Frankreich lebende Experte, der seinen Namen vorsichtshalber nur mit Boris angibt, zur "Agence France Presse". Zwar sei die Arbeit seines in Moskau gegründeten Zentrums offiziell nicht gestoppt worden, aber "alles ist blockiert". Das Werk beteiligter Doktoranden in Russland könne nicht mehr finanziert werden.

Besonders schwer wirkt sich der Riss zwischen den Fronten auf die Weltraumforschung aus. Die 22 ESA-Mitgliedstaaten haben die Zusammenarbeit mit der russischen Weltraumbehörde Roskosmos eingestellt. Damit wird die gemeinsame Mission Exo Mars zum Roten Planeten nicht wie geplant im Herbst starten. Indes hatte die US-Raumfahrtbehörde Nasa eine weitere Zusammenarbeit mit Moskau in Hinblick auf die Internationale Raumstation ISS zwar bekräftigt, jedoch musste Russland das Kommando auf der ISS abgeben.

Arbeitsteilung und Vorarbeit

"Wissenschaft lebt von internationaler Zusammenarbeit und internationale Kooperationen bestehen seit langem", sagt die Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny. Das Cern in Genf etwa wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und wird von Mitgliedsstaaten weltweit finanziert. Das Institut für Angewandte Systemanalyse in Laxenburg wiederum brachte Amerikaner und Russen während des Kalten Krieges in einer Forschungsinstitution zusammen. Auch andere Kooperationen sind international angelegt - ob es sich um den Fusionsreaktor "Iter" in Frankreich handelt oder um den Beschleuniger für geladene Elementarteilchen "Fair" in Darmstadt, an dem Russland zu 30 Prozent finanziell beteiligt ist. "Wenn eine Beteiligung ausfällt, hat es Auswirkungen, denn es dauert, bis Ersatz gefunden ist", so Nowotny. "Alle Programme benötigen eine lange Vorbereitungszeit in Bezug auf Arbeitsteilung, Verantwortungen und Lieferverträge. Aber natürlich muss man das trennen von der Ebene der einzelnen Forscher."

"Let’s not abandon Russian scientists", geben wir russische Forschende nicht auf, schreibt das Fachmagazin "Science" in einem Offenen Brief. US-Wissenschafter von Top-Universitäten um den Physiker John Holdren plädieren darin für ein differenziertes Vorgehen. Nachvollziehbarerweise sei die Zusammenarbeit zwischen Institutionen der russischen und der westlichen Regierungen eingefroren. Doch eine "unterschiedslose Verfolgung" russischer Akademiker sei kontraproduktiv. "Das wäre ein ernster Rückschlag für die westlichen Werte und die vielfältigen globale Interessenslagen, die sich um innovative Fortschritte bei großen Herausforderungen und die Freiheit von Ideologien über Grenzen hinweg drehen", heißt es.

Tatsächlich geht unter russischen Wissenschaftern die Angst um, im internationalen Wettbewerb abgehängt zu werden. Anfang März unterzeichneten rund 7.000 in Russland tätige Forschende eine Petition gegen den Ukraine-Krieg. Auch im Westen arbeiten tausende russische Wissenschafter, viele von ihnen haben Putins Angriffskrieg kritisiert. Europäische und österreichische Forschungsförderer, etwa der Wissenschaftsfonds, haben zwar Projekte mit russischen Institutionen gestoppt, die Zusammenarbeit mit hier tätigen russischen Forschern aber nicht. "Man wird versuchen, denen, die Hilfe brauchen, Hilfe zu gewähren, so informell wie das möglich ist", erklärt Nowotny. "Viele Organisationen sagen, sie seien bereit, den Einzelfall zu prüfen, oder diese Forscher mit Familie etwa auf ein Gastjahr einzuladen."

Mehr Geld für Verteidigung

"Es passiert eine Transformation in der Wissenschaft, da sich eine neue geopolitische Ordnung formiert, in der die Interessenslage sich verändert", sagte Fredrik Hörstedt, Direktor für Internationale Kooperationen der schwedischen Innovationsförderungsagentur Vinnova, kürzlich bei einem Besuch der "Wiener Zeitung" in Stockholm: "Wir reden nicht mehr von Wettbewerbsfähigkeit im Sinne von nachhaltiger Entwicklung, sondern von höheren Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten."

Experten thematisieren die Auswirkungen des Krieges auf die Globalisierung. Diese würde zwar "nicht verschwinden, aber es ist ein zivilisatorischer Rückschritt eingetreten", sagt Nowotny. "Gerade im Umweltbereich ist Zusammenarbeit unabdingbar. Doch wir fallen zurück in erstarrte Muster und Interessensphären - also eine Welt mit einem russisch-asiatischen und einem westlichen Teil, wobei Europa und die USA nicht deckungsgleich sind, sodass wir in Europa schauen müssen, dass wir etwas zustande kriegen, das uns einen Hauch von der erträumten Technologiesouveränität gibt."

Dazu würden in der EU viele Bestrebungen laufen. Die ehemalige Präsidentin des Forschungsrats rechnet mit einem "enormen Schub für militärische Investitionen in Europa." Zwar fließe ein Teil dieser Ausgaben zurück in die Forschung. Doch für bestimmte Forschungsbereiche, etwa für Universitäten, könnte es weniger Geld geben, da man Verteidigungsbudgets aufstocken würde.