Zum Hauptinhalt springen

Wie der Mensch zum Kiefer kam

Wissen
Qianodus duplicis liefert den "ersten greifbaren Beweis" für Zähne und Kiefer in der Wirbeltierevolution.
© Zhang Heming

Winzige Zahnfossilien eines urzeitlichen Hais könnten Geschichte der Wirbeltiere umschreiben.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Knorpel- und Knochenfische, Amphibien, Reptilien, Vögel und Säugetiere: Unter den heute lebenden Wirbeltieren sind 99,8 Prozent der Arten, einschließlich der Mensch, Kiefermäuler. Nur etwa 100 Spezies, darunter Schleimaale und Neunaugen, sind es nicht. Ein neu beschriebenes Fossil könnte die Evolution einer der bedeutendsten Innovationen des Lebens, des Kiefers mit seinem Gebiss, und damit die Geschichte der Wirbeltiere, neu schreiben.

Charakteristisch für diese Überklasse, im Fachbegriff Gnathostomata genannt, ist die Festigung der Mundränder durch gelenkig miteinander verbundene Knorpel- oder Knochenspangen. Es entstand ein meist bezahnter Kiefer, der es ermöglicht, Nahrung zu ergreifen, festzuhalten und zu zerkleinern. Die Entstehung des Kiefers ist eine der maßgeblichsten Innovationen und zugleich eines der größten Rätsel in der Geschichte der Wirbeltiere. Nicht nur beim Menschen lassen Körperbau und Schlüsselorgane darauf zurückführen.

Bisher reichten die ältesten Kiefermäuler-Fossilien, die in nennenswerter Zahl gefunden wurden, zum Beginn des Devon vor 419 Millionen Jahren zurück. Eine genetische Methode, Molekulare Uhr genannt, die das Alter des jüngsten gemeinsamen Vorfahren zweier Tiere anhand des Unterschieds zwischen den beiden DNA-Sätzen bestimmt, legt jedoch nahe, dass der letzte gemeinsame Ahne aller modernen Kiefermäuler vor 450 Millionen Jahren gelebt haben muss.

Vor etwa zehn Jahren wurden einige vollständige Kieferfische, die auf ein Alter von 425 Millionen Jahre datiert wurden, gefunden. Ein internationales Forschungsteam berichtet im Fachmagazin "Nature" von noch älteren, 439 Millionen Jahre alten Überresten eines Zahnfisches, die bestätigen würden, dass die letzten gemeinsamen Ahnen moderner Knochen- und Knorpelfische früher lebten als angenommen. Die Fossilien wurden in einer abgelegenen Fundstelle in der südchinesischen Provinz Guizhou mit Sedimentschichten aus dem fernen Silur vor etwa 445 bis 420 Millionen Jahren entdeckt.

20 Millionen Jahre früher

Gefunden wurden einzelne Zähne, die einer neuen Art namens Qianodus duplicis zugeordnet werden. Der primitive Kiefermäuler besaß mit 2,5 Millimetern Länge winzige, spiralförmige, Zahnelemente, die ihm in mehreren Generationen im Laufe des Lebens wuchsen. Die Zahnspiralen gehören zu den seltensten Fossilien der Fundstelle.

Da sie so winzig sind, mussten sie mit ihren nach unten breiter werdenden Windungen unter Vergrößerung mit sichtbarem Licht und Röntgenstrahlung untersucht werden. Dabei wurde entdeckt, dass die Zahnspiralen in zwei benachbarten Reihen und in ähnlicher Anordnung wie im Gebiss einiger moderner Haie wachsen. Laut den Forschern wurde eine solche Anordnung bisher jedoch bei keinen anderen Fossilien ausgemacht. Die Entdeckung deute somit darauf hin, dass heutige Kiefermäuler auf den Zeitraum vor 420 bis 460 Millionen Jahren zurückgehen und somit rund 20 Millionen Jahre früher entstanden sind als angenommen.

"Qianodus liefert uns den ersten greifbaren Beweis für Zähne und damit Kiefer aus dieser frühen Periode der Wirbeltierevolution", wird Studienautor Li Qiang von der Qujing Normal University in einer Aussendung der Chinesischen Akademie der Wissenschaften zitiert.

Anders als bei den Revolvergebissen moderner Haie, deren Zähne ausfallen und bald wieder nachwachsen, gehen die Forscher davon aus, dass die Spiralzähne von Qianodus ein Leben lang hielten, wobei die Milchzähne als erstes entstanden und die zweiten Zähne später dazukamen und mit dem Tier mitwuchsen. Diese Interpretation erkläre eine allmähliche eine Verbreiterung der Wirbelbasis als Reaktion auf die kontinuierliche Zunahme der Kiefergröße im Lauf der Entwicklung.

"Spiralenartige Zähne wurden bei vielen Fischen mit Lappenflossen, Haien und Rochen entdeckt", sagt Hauptautor Plamen Andreev von der britischen Universität Birmingham. In Kombination mit dem phylogenetischen Stammbaum, der die evolutionären Beziehungen zwischen den Arten darstellt, identifiziere seine Zahnreihen-Anordnung Qianodus jedoch als nahen Verwandten ausgestorbener Knorpelfische.

Die Ergebnisse füllen laut den Forschern eine wichtige Lücke in der Evolution "vom Fisch zum Menschen" und .werfen ein neues Licht auf die Entstehung der Kiefermäuler: Diese Kieferfische lebten bereits vor mindestens 440 Millionen Jahren in den Gewässern des Südchinesischen Blocks und im späten Silur hatten sich vielfältigere und größere Kieferfische entwickelt und begonnen, sich über die ganze Welt zu verbreiten.(est)