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Experten schlagen Alarm: In Europa leiden jährlich 4,5 Prozent der Bevölkerung an Depressionen. In Österreich ist sogar jeder Zehnte betroffen. Rezessionsängste, Terrorbedrohung, Klimawandel, Jobverlust, Angst vor Verarmung - all das führt zu Mut- und Hoffnungslosigkeit.
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Hilfe bietet nur, sich bewusst der Verunsicherung zu stellen, die damit einhergeht. Und das gelingt am ehesten, indem man dem Schicksal die Stirn bietet. Es kann schon helfen, den eigenen Standpunkt den Dingen gegenüber zu verändern. Aus der einen Perspektive wirken sie erdrückend, aus einer anderen fast harmlos.
Werner Gross vom Psychologischen Forum Offenbach sagt sogar: Optimismus lässt sich trainieren. Die Rede ist nicht von "Think-positive"-Seminaren, in denen Trainer ausgelaugten Menschen für viel Geld Lebenssinn einpeitschen, sondern von kontinuierlichem Bewusstseinswandel.
Denn was uns bedrückt, sind oft nicht die Dinge an sich, sondern unsere Sicht von ihnen. Die rosarote Brille aufzusetzen, wäre Zweckoptimismus und hätte nichts mit Erkenntnis, sondern mit Anpassung zu tun. Der erste Schritt ist, auf Distanz zum Belastungsphänomen zu gehen. Das ermöglicht einen größeren Überblick.
"Was verursacht meine negative Stimmung?" ist die Frage, die sich aus der Distanz zwangsläufig stellt. Häufig wird deutlich, welch untergeordnete Rolle ein Problem wirklich spielt. Diese Bewertung der Belastungsfaktors ist ein fortwährender Prozess, der Ehrlichkeit und Disziplin erfordert. Hinfallen ist okay, entscheidend ist, wieder aufzustehen. Wer in einer Sinn-Klemme steckt, sollte sich nicht krankschreiben lassen, sondern das Ruder in die Hand nehmen.
Das alles hat jedoch seine Grenzen. Distanz macht nicht automatisch jedes Problem erträglich. Wenn die Dinge einen strangulieren, wenn auch die Hilfe von Freunden nicht ausreicht, ist der Weg zum Fachmann unausweichlich.
Der Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Erich Fromm charakterisiert in seiner "Anatomie der menschlichen Destruktivität" den Optimismus als entfremdete Form des Glaubens: So kann jemand in Bezug auf besseres Wetter durchaus "optimistisch" sein - äußert er jedoch "Optimismus", wenn es um die Genesung seines schwer erkrankten Kindes geht, so vermittelt dieser Begriff Distanz und Anteilnahmslosigkeit. Der bessere Begriff wäre in diesem Fall der "Glaube" an die Heilung des Kindes. Den Unterschied macht die Beziehung aus, in der der Betreffende zum negativen Faktum steht. Im ersten Fall ist es ein Wunsch, der im zweiten Fall nur angebracht wäre, wenn er auf klarer Erkenntnis aller relevanten Daten über die Gesundheit des Kindes gründet.
Optimismus, so Gross, muss einhergehen mit dem Wissen um die Möglichkeiten, nicht mit dem Streben nach dem Wollen. Dann ist der von Optimismus geprägte Kampf gegen das vermeintliche Schicksal realistisch und hat eine Chance auf Erfolg.
Alexander von der Decken ist Redakteur in Bremen, hat Philosophie und Romanistik studiert und in Spanien, Frankreich und Italien gelebt.