Premier fungiert als Witzfigur. | Regierungspartei LDP im Dilemma. | Tokio. Wohl kaum ein japanischer Premierminister hat so schnell den Respekt der Massen und der Medien verloren wie Taro Aso. Bei seinem Amtsantritt im September wurde er noch als Manga-Ministerpräsident gefeiert: Er machte aus seiner Liebe zu den schlichten Bild-Geschichten keinen Hehl und schien einen guten Draht zum einfachen Volk zu haben. Aber seitdem ist er in allen Umfragen abgestürzt und zu einer peinlichen Witzfigur geworden. Aso ist vielen Japanern zu unsensibel und zu ungebildet. Seine politische Zukunft ist äußerst düster.
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Das Versprechen, sein loses Mundwerk zu kontrollieren, konnte der konservative Politiker nur wenige Wochen halten. Erst warf Aso der Ärzteschaft vor, sie hätte "nicht genug gesunden Menschenverstand", weil viele Mediziner wegen der hohen Arbeitsbelastung nicht im Krankenhaus arbeiten wollen. Seine Liberaldemokratische Partei (LDP) zuckte zusammen, weil die Ärzte zu den Stammwählern zählen.
Dann attackierte der 68-jährige Politiker die Senioren. Beim Klassentreffen hätte er festgestellt, dass viele ehemalige Schulkameraden ständig zum Arzt liefen. "Warum muss ich für Leute bezahlen, die nur essen und trinken und sonst nichts für ihre Gesundheit tun?", pöbelte Aso herum. Sie sollten sich ein Beispiel an seinen Morgenspaziergängen nehmen. Wieder jaulte seine Partei auf, denn jeder fünfte Wähler ist über 70 Jahre alt. Alsbald musste Aso sich für seine Tritte in diese Fettnäpfchen entschuldigen.
Das seriöse Wochenmagazin Shukan Asahi erklärte Asos mangelnde Sensibilität damit, dass der steinreiche Vater seinen ältesten Sohn total verwöhnt und für falsche Bemerkungen nie getadelt habe: "Es wäre zu viel von Aso verlangt", schrieb das Magazin, "die Gefühle des einfachen Volkes zu verstehen." Er könne gar nicht begreifen, warum er für seine Sprüche an den Pranger gestellt werde.
Ein fauler Leser
Den Respekt vieler Japaner verlor Aso endgültig, als herauskam, dass er viele japanische Schriftzeichen nicht lesen kann. Bei Vorträgen und Reden blieb Aso immer wieder an einzelnen Zeichen hängen und nuschelte sich an der korrekten Aussprache vorbei. Die Zeitung "Japan Times" warf Aso deshalb "Unwillen zum Lernen" vor. Diese Einstellung mache ihn für das Amt des Premierministers ungeeignet - starker Tobak im Land der ausgesuchten Höflichkeit. Im Internet tauchten Listen von Wörtern auf, die Aso falsch gelesen hatte, darunter eher einfach geschriebene Wörter wie "Einzelheit" und "Verletzung".
Wer diese Wörter lesen könne, hieß es höhnisch im Netz, sei bereits als Ministerpräsident geeignet. Das Magazin "Shukan Asahi" zitierte einen ehemaligen Mitschüler des Premierministers mit der Aussage: "Er konnte schon damals viele Zeichen nicht lesen, weil er so faul beim Lernen war." Asos Nachhilfelehrer aus der Mittelschulzeit meinte: "Seine Mutter hat mir gesagt, es reiche ihr, wenn der Sohn nicht sitzenbleibe."
Die LDP möchte Aso am liebsten so schnell wie möglich loswerden. Anfangs hatte sie gehofft, mit seiner hemdsärmeligen Art ließe sich die Parlamentswahl gewinnen, die bis zum nächsten September stattfinden muss. Doch laut einer Umfrage des TV-Senders Fuji und der Sankei-Zeitung stehen nur noch 28 Prozent der Japaner hinter Aso, Ende September waren es noch 45 Prozent. Erstmals halten mehr Japaner Oppositionsführer als Premierminister besser als geeignet als Aso. Hauptgrund neben den vielen Peinlichkeiten: Asos Politik ist unklar und ziellos. So kündigte der 68-Jährige die Ausgabe von Barschecks gegen die Rezession an, doch das Gesetz dafür will er erst nächstes Jahr ins Parlament einbringen. Mehrere Parteischwergewichte kritisierten Aso öffentlich. Ex-Minister Yoshimi Watanabe verglich seinen Parteichef im Magazin "Shukan Gendai" mit dem Schaum von Cappuccino und warf ihm Substanzlosigkeit vor: "Der Schaumberg sieht lecker aus, aber wenn man ihn trinken will, ist nichts drin."
Weil die LDP nicht zum vierten Mal den Premierminister auswechseln kann, ohne ihr Gesicht zu verlieren, droht die Partei vor der Wahl zu zerfallen. Nur ein Rücktritt Asos würde den Weg zu einer Übergangsregierung freimachen. Der Premierminister habe bisher nur einen einzigen Erfolg gehabt, lästerte ein Japaner im Internet: Endlich könnten Eltern ihren Kinder glaubwürdig das Manga-Lesen verbieten, sie würden "dabei sonst so dumm werden wie Taro Aso".