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Wie Deutschland zu einem neuen Kanzler kommt

Von WZ-Korrespondent Markus Kauffmann

Europaarchiv

Kampfabstimmung im Bundestag? | Berlin. Rein theoretisch könnte die Regierung Schröder ewig im Amt bleiben. Das deutsche Grundgesetz schreibt keine Frist vor, in der ein neuer Kanzler gewählt werden muss. So lang dies nicht der Fall ist, bleibt der alte im Amt - und mit ihm seine Minister.


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Nur die politische Realität schiebt hier einen Riegel vor: Spätestens bei einem Haushaltsgesetz müsste Schröder eine Mehrheit finden, die er jedoch am vergangenen Sonntag klar eingebüßt hat.

Eine gesetzliche Frist gibt es nur für die Konstituierung des neugewählten Bundestages. Im 2. Absatz des Artikel 39 heißt es: "Der Bundestag tritt spätestens am 30. Tage nach der Wahl zusammen." Das wäre Dienstag, der 18. Oktober, (unbeschadet der Nachwahl im Wahlkreis Dresden 1 am 2. Oktober). Für die Bildung einer tragfähigen Koalition ist das ein psychologisch, nicht aber staatsrechtlich wichtiger Termin. Schröder, Fischer & Co dürfen die Geschäfte weiterführen, bis ihre Nachfolger eine Mehrheit gefunden haben.

Mit dem Wahlergebnis vom Sonntag und dem Führungsanspruch gleich zweier Bewerber wird diese Mehrheitsfindung keine einfache Sache werden. Vier Wochen, von Dienstag gerechnet, sind eine kurze Spanne, zumal keiner dem anderen einen allzu frühen Triumph gönnen wird und bisher jede Variante an dem Veto mindestens eines Beteiligten gescheitert ist.

Merkel und Müntefering sondieren das Terrain

Nach der Kür der Fraktionsvorsitzenden steht nun fest, wer die Sondierungsgespräche mit den anderen Parteien/Fraktionen führt, weil das traditionell deren Sache bzw. die der Parteivorsitzenden ist und in diesem Falle sowohl Merkel als auch Müntefering beides in Personal-Union sind. Am Ende trägt ein Koalitionsvertrag stets die Unterschriften der Leute in diesen Funktionen.

Wie schon bei der Parlamentsauflösung ist auch jetzt wieder die Stunde des Bundespräsidenten gekommen. Sowohl offiziell als auch inoffiziell. Offiziell muss Horst Köhler dem Parlament eine Persönlichkeit für das Amt des Bundeskanzlers vorschlagen. Dabei ist er in seiner Entscheidung völlig frei. Es entspricht aber den Gepflogenheiten, dass der Kandidat der stärksten Fraktion nominiert wird, weil ihm am ehesten die Bildung einer stabilen Mehrheit zugetraut wird und weil es den indirekten Wählerwillen zum Ausdruck bringt, der sich mit seiner Stimme für oder gegen eine Regierung stellt.

Inoffiziell kann das Staatsoberhaupt die Rolle eines Moderators, ja Mediators zwischen den Parteien übernehmen, politisch und zeitlich Druck ausüben, mäßigen und beschleunigen.

Ist nun ein Kandidat oder eine Kandidatin vorgeschlagen, dann stimmt der Bundestag ab. Gewählt ist, wer die absolute, die "Kanzlermehrheit", erhält. Köhlers Vorschlagsrecht gilt nur für diesen ersten Wahlgang.

Schwache Regierung brächte Neuwahlen

Scheitert die Wahl, muss längstens nach vierzehn Tagen ein zweiter Wahlgang erfolgen. Ab jetzt kann auch antreten, wer nicht nominiert wurde. Dabei könnte es zur Kampfabstimmung zwischen Schröder und Merkel kommen. Doch ist hier wiederum die absolute Mehrheit erforderlich.

Bringt das immer noch kein Ergebnis, muss unverzüglich eine dritte Wahl durchgeführt werden, bei der dann allerdings die relative Mehrheit genügt, also gewählt ist, wer die meisten Stimmen auf sich vereint. Dann landet der Ball wieder bei Köhler: Entweder findet er, dass diese relative Mehrheit genügt, um eine stabile Regierung zu bilden, dann muss er den Sieger zum Kanzler ernennen. Oder er findet das nicht, dann muss er den Bundestag auflösen; und das Spiel begänne von vorn: es müsste binnen 60 Tagen ein neues Parlament gewählt werden.