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Wie die Biowaffe Rizin tötet

Von Heiner Boberski

Wissen
Ullrich Elling, Forscher in Josef Penningers Team am Imba, mit einer Kollegin im Labor.

Experte Josef Penninger spricht von einer Revolution in der Biomedizin.


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Wien. Rizin ist einer der giftigsten Eiweißstoffe, die es in der Natur gibt. Es kommt in den Samenschalen der Rizinusstaude vor und kann bereits in winzigen Dosen - bei Erwachsenen können 0,25 Milligramm, bei Kindern noch weniger genügen - innerhalb von 36 bis 72 Stunden zum Tod führen. Am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie (Imba) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat man nun die tödliche Wirkung von Rizin entschlüsselt und eine Gegenstrategie angedacht. Ermöglicht wurde diese Entdeckung durch eine neue Technologie, die Stammzell-Biologie und moderne Screeningmethoden (also systematische Reihenuntersuchungen nach bestimmten Kriterien) miteinander verbindet.

Als biologischer Kampfstoff sorgte Rizin in der Vergangenheit wiederholt für Aufsehen, etwa beim Londoner "Regenschirmmord" an dem bulgarischen Schriftsteller und Dissidenten Georgi Markow im Jahr 1978. Nach dem Golfkrieg wurden im Irak zehn Liter konzentrierte Rizinlösung zum Abfüllen in Artilleriegeschosse gefunden. Immer wieder, zuletzt im August 2011, drangen Pläne der Terrororganisation Al-Kaida an die Öffentlichkeit, Bomben mit Rizin zu bauen und damit Anschläge zu verüben.

Nun konnte Imba-Forscher Ulrich Elling das Eiweißmolekül "Gpr107" als jenes Protein identifizieren, das entscheidend für die tödliche Wirkung von Rizin ist. Zellen, die Gpr107 nicht besitzen, sind daher immun gegen das Gift. Elling gibt sich zuversichtlich: "Nach unseren Erkenntnissen könnte man rasch ein Gegengift entwickeln, indem man etwa ein sogenanntes ,small molecule bastelt, welches das Protein Gpr107 gezielt blockiert." Die neue Studie erscheint am 2. Dezember 2011 in der Zeitschrift "Cell Stem Cell".

Dass Elling in kurzer Zeit dieser Erfolg gelang, ist einer neuen Methode in der Genetik zu verdanken, die Ulrich Elling und Imba-Chef Josef Penninger maßgeblich mitentwickelt haben. Sie gestattet erstmals, das komplette Säugetiergenom in einem sinnvollen Zeitrahmen auf Mutationen zu screenen. Bisher konzentrierte man sich bei Säugetieren, wie Mäusen, auf eine einzelne Mutation. Dabei verwendete man entweder die sogenannte RNA-Interferenz (ein Mechanismus in Zellen, mit dem Gene gezielt stillgelegt werden können) oder züchtete die passende "Knock-out-Maus" mit bestimmten deaktivierten Genen. Doch RNA-Interferenz funktioniert nicht immer, und die Züchtung einer Knock-out-Maus erfordert zwei Jahre und viel Arbeit.

Für Josef Penninger stellt die neue Technologie eine Revolution in der Biomedizin dar: "Wir haben es geschafft, Hefegenetik, bei der aufgrund des einfachen Chromosomensatzes sofort eine Gen-Mutation möglich ist, mit Stammzellbiologie zu verbinden. Ewig suchen wir Forscher schon nach so einem System!" Da Stammzellen die Fähigkeit haben, sich in jede beliebige Körperzelle zu verwandeln, sieht Josef Penninger begeistert "unendlich viele mögliche Anwendungen".

Weitere spannende Projekte

Forscher können nun in kurzer Zeit Millionen Gen-Mutationen nachstellen und die Wirkungen erforschen. Dieses Know-how half auch Ulrich Elling, als er die Giftwirkung von Rizin entschlüsselte: Er testete Rizin an vielen tausend verschiedenen Mutationen in Maus-Stammzellen und fand heraus, dass allein 49 verschiedene genetische Mutationen in einem einzigen Protein vorhanden waren: Gpr107. Eine Mutation in diesem Protein sicherte offenbar den Zellen das Überleben.

Penningers Team arbeitet mit der neuen Technologie schon konkret an weiteren spannenden Projekten: Wie entwickeln sich Resistenzen gegen Chemotherapien? Wie können sich Nervenzellen bei einer Querschnittslähmung regenerieren?