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Auswirkungen der Ernährung über zwei Generationen. | Was die Gebrechen des Klonschafs "Dolly" verursachte. | Marne/Holstein. Bis vor kurzem galt es als ausgemacht, dass Menschen der Herrschaft ihrer Gene ausgeliefert sind und ihr Tun und Treiben nicht die geringsten Rückwirkungen auf ihre Gene hat. Mittlerweile sprechen allerdings etliche Indizien dafür, dass es in Wahrheit nicht selten von den Umweltverhältnissen abhängt, welche Gene jeweils aktiviert und welche Gene jeweils lahmgelegt werden - und dass diese erworbenen Anweisungen für den Gebrauch der Gene dann an spätere Generationen weitergegeben werden.
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Dass werdende Mütter sich gesund ernähren sollten, um gesunden Nachwuchs zur Welt zu bringen, ist eine Binsenwahrheit. Doch was wäre, wenn die Art der Nahrung, die sie während der Schwangerschaft zu sich nehmen, sogar noch Auswirkungen auf ihre Enkel und Urenkel hätte? Offenbar verhält es sich tatsächlich so. Dafür sprechen die Befunde eines Experiments, das ein australisch-amerikanisches Forscherteam unter der Leitung des Mediziners David Martin (vom Childrens Hospital Oakland Research Institute in Kalifornien) vor kurzem durchgeführt hat.
In diesem Experiment wurde zwei Gruppen von trächtigen Avy-Mäusen unterschiedliche Nahrung vorgesetzt. Während die eine Gruppe eine Standardkost erhielt, wurde dem Futter der anderen eine Woche lang eine Reihe von Nährstoffen wie Zink oder Vitamin B12 beigemischt. Wie erwartet bekamen die Mäuse, die man mit einer Sonderration verwöhnt hatte, Junge, deren Fell statt goldgelb dunkelbraun gefärbt war. Der Grund: Die Nährstoffzufuhr bewirkt, dass das Avy-Gen, das ein helles Fell hervorbringt, stillgelegt wird. Überraschend war jedoch etwas anderes: Auch die Enkel kamen mit dunklem Fell auf die Welt, obwohl ihren Müttern nur die herkömmliche karge Kost verabreicht worden war.
Umweltfaktoren wichtig
Das deutet darauf hin, dass die für die Abschaltung des Avy-Gens verantwortliche Information weitervererbt wird. Bei einer solchen epigenetischen Vererbung kommt es zu einer "Methylierung" der DNA. Eine Methylgruppe dockt sich an das Cytosin, eine der vier DNA-Basen, an. Dadurch werden nicht die Gene selbst verändert, sondern nur ihre Regulierung.
Die Avy-Mäuse sind genetisch fast völlig genetisch identisch und eignen sich daher besonders gut für die Erforschung des Wechselspiels von Erbmechanismen und Umweltfaktoren. David Martin kann noch nicht eindeutig sagen, über wie viele Mäuse-Generationen sich diese epigenetische Vererbung erstrecken kann, und warnt vor voreiligen Schlüssen. "Dies ist eine Modell-Studie an Mäusen", erklärt er, "die auf den Menschen nicht ohne weiteres übertragbar ist. Aber sie sagt immerhin aus, dass die Ernährungsweise und andere Umweltfaktoren, denen eine Mutter ausgesetzt ist, erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit ihrer Kinder und Kindeskinder haben dürften."
Schon vor Jahren haben die schwedischen Mediziner Gunnar Kaati, Lars Olov Bygren und Sören Edvinsson von der Umeå Universität nachgewiesen, dass eine Überernährung von Vätern und Großvätern in der langsamen Wachstumsperiode vor der Pubertät die Entstehung von Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei den Nachkommen begünstigt.
Etliche menschliche Erkrankungen und Probleme bei der Stammzelltherapie und beim Klonen lassen sich epigenetisch erklären. Beispielsweise kann Krebs dadurch entstehen, dass Gene, die sonst Schutzmechanismen in Gang setzen, ausgeschaltet worden sind. Die Gebrechen des Klonschafes "Dolly" waren nicht auf Mutationen des Erbguts, sondern auf epigenetische Veränderungen, die bei natürlichen Geburten so nicht auftreten, zurückzuführen.
Dass bei Menschen, die in ihrer frühen Kindheit ein traumatisches Erlebnis zu verkraften hatten, das Risiko erhöht ist, an einer Depression zu erkranken oder an schweren Angststörungen zu leiden, ist seit längerem bekannt. Dass auch hier epigenetische Mechanismen im Spiel sind, haben der Mediziner Dietmar Spengler und seine Mitarbeiter vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München experimentell nachgewiesen. Sie berichteten darüber im Journal "Nature Neuroscience".
Die Wissenschafter untersuchten Mäuse, die unmittelbar nach ihrer Geburt kurz von ihrer Mutter getrennt worden waren, und entdecken, dass die traumatisierten Mäuse ihr Leben lang unter einem viel zu hohen Stresshormon-Spiegel zu leiden hatten und deswegen mit psychisch belastenden Situationen nur schlecht zurechtkamen. Dazu kommt es, weil die Gehirne der Nager ständig zu große Mengen des Botenstoffs Vasopressin erzeugen, der für die Steuerung der Ausschüttung von Stresshormonen eine ebenso wichtige Rolle spielt wie für die Steuerung des Gedächtnisses, der Emotionen und des Sozialverhaltens.
Auf der Suche nach der Ursache für diese Überproduktion fanden Spengler und sein Team einen Genabschnitt, der bei den traumatisierten Mäusen durch methylbindende Proteine dauerhaft verändert war. Durch diese Veränderung der Erbsubstanz wird der Aus-Schalter außer Kraft gesetzt, der das für die Produktion von Vasopressin zuständige Gen daran hindern soll, zu oft in Aktion zu treten.