Mit seinen Aussagen zu Studiengebühren und Eurofightern hat Grünen-Chef Alexander Van der Bellen einen Vorgeschmack auf die innerparteiliche Zerreißprobe bekommen, die im Falle einer Regierungsbeteiligung auf seine Partei zukommen könnte. Dabei hätte darin durchaus auch die Chance für eine positive Profilierung der Grünen gelegen, ist der Politikberater Karl Staudinger im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" überzeugt.
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Für Staudinger gibt es in der heutigen Politik zwei fundamentale Bedürfnis-Strukturen: "Auf der einen Seite steht das bekannte Freund-Feind-Schema, das in Österreich vor allem durch die Person Jörg Haiders eine extreme Zuspitzung erfahren hat. Auf der anderen Seite steht die Sehnsucht nach argumentativer Differenzierung. Erst Van der Bellen hat letzteres bedient", ist Staudinger überzeugt.
Aus diesem Grund waren die Aussagen des Grünen Bundessprechers, selbst wenn sie wahltaktisch unklug sein mögen, für den erfahrenen Politikberater ein positiver Beitrag zur politischen Kultur: "Denn natürlich ist es eine Tatsache, dass die Grünen vor einer Regierungsbeteiligung stehen. Und natürlich ist es eine Tatsache, dass in diesem Fall schmerzhafte Kompromisse notwendig werden." Und nichts anderes habe Van der Bellen mit seinen Aussagen zu Studiengebühren und Abfangjägern getan.
Bemerkenswert ist dabei für Staudinger, dass die inhaltlichen Argumente Van der Bellens in der aufgeregten Diskussion völlig untergegangen sind: "In der öffentlichen Debatte ist sofort das Freund-Feind-Schema durchgebrochen." Die Nichtabschaffung der Studiengebühren argumentierte er mit uni-internen Organisationsproblemen und, die Beibehaltung der Eurofighter mit der möglicherweise abschreckenden Höhe von Pönalezahlungen bei Vertragsausstieg.
Eigentlich, ist Staudinger überzeugt, hätten die Grünen die Aussagen ihres Parteichefs als Angebot einer neuen, in Österreich eigentlich nicht gerade weit verbreiteten politischen Ehrlichkeit verkaufen können. Durch den innerparteilichen Aufstand wurde diese Chance jedoch vertan. Die Grünen, die sich lange vehement dagegen gewehrt hatten zu einer normalen Partei zu werden, scheinen damit gänzlich in den klassischen Verhaltensmustern aufzugehen. Wenn jeder nur noch sagt, was ohnehin von ihm erwartet wird, droht Politik auch die letzten Überraschungsmomente zu verlieren. Bisher zählte es zu den Stärken Van der Bellens, diese Erwartungshaltungen zu brechen.
Grüne haben ein Persönlichkeits-Defizit
Kein Zweifel besteht für Staudinger auch daran, dass für einen nachhaltigen politischen Erfolg der Grünen die Person Van der Bellens nicht ausreicht. "Es fehlt an politischen Visionen und an Persönlichkeiten mit Zugkraft." Allerdings müssten diese sich in ihren Persönlichkeitsmerkmalen vom Parteichef unterscheiden.
Unterdessen gab sich der von Freund und Mitbewerber so heftig Kritisierte am Mittwoch zerknirscht: Er werde sich künftig so etwas gut überlegen, "das hat mir viel Ärger eingebracht", betonte Van der Bellen in einem Ö1-Interview. Es sei nicht gut gewesen, sich auf ein öffentliches Spekulieren über hypothetische Fragen einzulassen.
In der Sache selbst blieb der Bundessprecher aber bei seinen Aussagen: Die Abschaffung der Studiengebühren und der Ausstieg aus dem Eurofighter-Vertrag seien keine Koalitionsbedingung, wenngleich beides nach wie vor politische Ziele der Grünen seien. Möglicherweise wird das die echauffierten Spitzenfunktionäre, die sich am Mittwochnachmittag zu einer Vorstandssitzung trafen, etwas beruhigen.