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Wie die Parteien Deutschland klimafit machen wollen

Von Florian Koch

Politik
Auch Deutschland will kurzfristig wieder auf Kohle zur Energiegewinnung setzen. Russland dreht weiter am Gashahn.
© REUTERS

Die nächste deutsche Regierung stellt die Weichen hin zur Klimaneutralität. Die Klimaschutzpläne sind aber nicht ausreichend.


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Es war ein peinlicher Moment für die schwarz-rote Koalition in Deutschland. Im April erklärte das Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig. Laut den Höchstrichtern in Karlsruhe reichte die bestehende Regelung nicht aus, um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten - ein Abkommen, das die Regierung sechs Jahre zuvor unterzeichnet hatte. Das Gesetz wurde daraufhin hastig repariert und mit mehr Ambition versehen. Nun sollen die deutschen Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken, bis spätestens 2045 soll das Land klimaneutral sein.

Dass der Klimawandel auch in Deutschland angekommen ist, ist spätestens seit diesem Sommer klar. Die Flutkatastrophen in Rheinland-Pfalz und dem von CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet regierten Nordrhein-Westfallen demonstrierten, mit welcher Wucht Extremwetterereignisse, die mit der voranschreitenden Erderhitzung zunehmen werden, auch in Mitteleuropa zuschlagen können. Und in den Köpfen der Menschen ist das Thema längst angekommen. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos ist der Klimawandel für 36 Prozent der Deutschen derzeit die größte Sorge.

Ein Klima-Musterschüler ist Deutschland dennoch nicht. Zwar sanken die nationalen Emissionen im Jahr 2020 Corona-bedingt um fast neun Prozent, doch mit der Erholung der Konjunktur sind zuletzt auch die Emissionen wieder stark angestiegen. Gleichzeitig geht die Energiewende, die einen zentralen Baustein beim Klimaschutz darstellt, nur langsam voran.

"Wir hatten beim Ausbau erneuerbarer Energien eine deutliche Delle in den letzten Jahren. Keine Vollbremsung, aber einen deutlichen Rückgang. Das Ausbautempo ist viel zu gering", sagt Frank Steffe von der Denkfabrik Agora Energiewende im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Laschet gegen mehr Tempo

Entsprechend hoch ist daher auch die Bedeutung der Bundestagswahl am kommenden Sonntag für den Klimaschutz. Werden von der künftigen Regierung in der kommenden Legislaturperiode nicht die entsprechenden Weichen gestellt, rücken die Ziele, die sich Deutschland mit dem Pariser Abkommen gesetzt hat, in weite Ferne. Die Wahl ist damit nach Ansicht vieler Klima-Experten die letzte Chance, das Steuer noch herumzureißen. Doch wie wollen die Parteien Deutschland in den kommenden Jahren auf Klimakurs bringen?

Formal bekennen sich sowohl die konservative Union wie auch die SPD und die Grünen zum 1,5-Grad-Ziel des Pariser Abkommens, doch Klimapolitik überzeugend an den Wähler zu bringen, fällt derzeit allen drei Parteien - inklusive der in dieser Sache häufig in eine Verbotsdebatte laufenden Grünen - mitunter schwer. So mussten sich Laschet und die Union im Wahlkampf vor allem gegen den Vorwurf verteidigen, sie würden die Interessen der Industrie über alles andere stellen. Nach der verheerenden Flutkatastrophe betonte Laschet zwar, sein Bundesland Nordrhein-Westfalen müsse klimafester werden. Doch als eine WDR-Journalistin nachhakte, ob die Katastrophe ein klimapolitischer Wendepunkt für ihn sei, reagierte er patzig: "Weil jetzt so ein Tag ist, ändert man nicht die Politik."

Laschets Ansicht nach sollen Innovationen, nicht Verbote und Richtlinien, den Weg zur deutschen Klimaneutralität ebnen. Bei der weicht die Partei nicht vom neuen Klimaschutzgesetz ab: Bis 2045 soll das Land klimaneutral sein. Am Kohleausstieg 2038, der mit dem Pariser Abkommen nicht konform ist, hält die Union weiterhin fest. Laschet verteidigte dies im Interview mit der "Zeit": "Wir tun gut daran, nicht jeden Konsens, jede demokratisch getroffene Entscheidung sofort wieder infrage zu stellen."

Den nationalen CO2-Preis, der sich schrittweise steigern soll und in Deutschland derzeit knapp 30 Euro pro Tonne beträgt, möchte die Union schneller erhöhen. Wie hoch er steigen soll, lässt die Partei jedoch offen. Im Programm heißt es lediglich: "Aufwuchspfad der CO2-Bepreisung straffen". Ein Tempolimit von 130 auf Autobahnen lehnt die Partei ab, Verbrennungsmotoren zu verbieten liegt ihr in der Autonation Deutschland fern. Konkrete Ausbauziele für Solar- und Windkraft hat die Partei, die die Errichtung von Windrädern in der letzten Legislaturperiode mit hohen Mindestabständen erschwerte, keine. Dafür sollen die Strompreise sinken, indem der Preisaufschlag abgeschafft wird, mit dem die erneuerbaren Energien gefördert werden (EEG-Umlage).

SPD im Gleichklang mit der CDU

In vielen Bereichen ähnlich sehen die Klimaschutzvorhaben beim derzeitigen Koalitionspartner der CDU aus. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz interessierte sich bis vor zwei Jahren wenig bis kaum für das Klima, nun hat er das Thema aber für sich entdeckt: Rote Wahlplakate werben für den selbsternannten "Kanzler für Klimaschutz". Übereinstimmung mit der CDU gibt es dabei vor allem in den großen Punkten: Klimaneutralität bis 2045, der Kohleausstieg 2038 bleibt "beschlossene Sache" und CO2-Preise sollen über günstigen Strom zurückgegeben werden.

Spätestens bis 2040 soll nach Ansicht der SPD Strom vollständig aus Erneuerbaren bezogen werden. Dafür sollen auch "alle dazu geeigneten" Dächer, öffentlichen Gebäude und gewerblichen Neubauten Solarstrom erzeugen. Wie dieses Ziel erreicht werden soll, wird aber nicht konkret beantwortet. Ambitionierter tritt die SPD hingegen im Bereich Verkehr auf: Die Elektromobilität soll ausgebaut, der öffentliche Verkehr attraktiver gemacht werden. Beim Tempolimit weicht sie vom Koalitionspartner ab: Anders als bei der CDU ist für die SPD auf der Autobahn bei 130 Schluss.

Am umfassendsten und weitreichendsten sind die Klimaschutzpläne naturgemäß bei den Grünen. Ab 2035 soll der Strom in Deutschland ausschließlich aus erneuerbaren Energien stammen, klimaneutral soll das Land bereits in 20 Jahren sein. Dafür legt die Partei von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock anders als Union und SPD auch konkrete Ausbauziele für Wind und Solarkraft vor. Eineinhalb Millionen Dächer sollen in den kommenden Jahren mit Solaranlagen ausgestattet werden, Sonnenergie soll nicht nur auf öffentlichen Gebäuden und Gewerbebetrieben zum Standard werden, sondern auch bei Neubauten verpflichtend sein. Die Grünen planen außerdem, schon 2030 aus der Kohle auszusteigen und den CO2-Preis bereits ab 2023 auf 60 Euro zu erhöhen. Die Einnahmen daraus sollen als "Energiegeld" an die Bevölkerung zurückfließen. Wie die SPD wollen sie den öffentlichen Verkehr ausbauen und ein Tempolimit einführen, ab 2030 sollen zudem keine Verbrennungsmotoren mehr zugelassen werden.

Aus Expertensicht zu wenig

Geht es nach der Wissenschaft, dürften aber wohl nicht einmal die ambitionierten grünen Klimaschutzpläne ausreichen. So hat der deutsche Umweltrat, ein wissenschaftliches Beratungsgremium der Bundesregierung, ausgerechnet, dass Deutschland bereits 2038 klimaneutral sein müsste, um das 1,5-Grad-Ziel zu schaffen. Auch eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung kommt zu dem Schluss, dass kein Wahlprogramm die Lücke zwischen dem deutschen Klimagesetz und den Pariser Zielen schließen kann. "Es liegt sehr viel Arbeit vor der neuen Regierung", sagt Frank Steffe von Agora Energiewende. "Die gute Nachricht ist aber: Noch ist die Zeit da. Wenn das Thema ernst genommen wird, dann können in der nächsten Legislaturperiode die Weichen richtig gestellt werden. Aber eben nur noch in der nächsten Periode."