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Wie die Tschechen Tempo machten

Von WZ-Korrespondent Andreas Lieb

Politik

Der rotierende EU-Ratsvorsitz hatte viel mit unwägbaren Konstellationen zu tun. Tschechien gelang ein Bravourstück.


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Am Ende waren sie erschöpft und erleichtert. Und dennoch hinterließen die Tschechen den Eindruck, sie hätten durchaus noch weitermachen wollen: Bei der allerletzten Pressekonferenz spielten sie Adeles Titelmelodie des James-Bond-Streifens "Skyfall" ein, der mit den Worten "This is the end" beginnt. Doch: "Wir kommen wieder, in 13 Jahren", sagte Pressesprecher Dmitrij Cernikow für den rotierenden Ratsvorsitz, der jedes halbe Jahr ein anderes EU-Land in die leitende Position als "ehrlicher Vermittler" an die Spitze der Mitgliedsländer hievt.

Zuvor hatte Cernikow noch schnell eine beeindruckende Bilanz gezogen: "Wir haben mehr als 40 Ratstreffen geleitet, mehr als 30 Akten und Triloge abgeschlossen." Darunter befanden sich wesentliche Erfolge, wie etwa das Herzstück des "Fit for 55"-Klimapakets, die endgültige und stark ausgefallene Umsetzung der Rechtsstaatskonditionalität gegen Ungarn oder zuletzt der nach langem Ringen zumindest als Kompromiss erzielte Gaspreisdeckel, der für sich genommen schon eine Herkulesaufgabe ist.

Die Einigkeit der EU blieb gewahrt, das zeigte sich auch bei Sanktionspaketen und generell in der klaren Position gegenüber Russland. Verbot von Schengen-Visa für Russen, Ausbildung ukrainischer Soldaten, Hilfsprogramme - alles ging auf. Selbst beim Herbstgipfel in Prag konnte das Gastgeberland ein historisches Ereignis verbuchen, das erste Treffen der "Europäischen Politischen Gemeinschaft", das nach einer Idee des französischen Präsidenten, Emmanuel Macron, die EU mit den Nachbarländern besser vernetzen und zu einer Dauereinrichtung werden soll.

Unbeirrt von äußeren Einflüssen

Tschechien konnte sich damit trotz - oder wegen - der Multikrise aus dem alten Muster der Visegrad-Staaten Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei herausarbeiten und legte damit auch innerhalb der Gruppe an Gewicht zu. Die zunehmende Isolation Ungarns innerhalb der EU und das vorsichtigere Agieren Polens gehören zu den Folgen.

Tschechien machte Tempo und ließ sich nicht von äußeren Einflüssen beirren. So wird in Brüssel erzählt, dass das Schengen-Veto Österreichs gegen Bulgarien und Rumänien eigentlich nach einem anderen Drehbuch hätte erfolgen sollen: Die Österreicher hätten ihre ablehnende Haltung vorab geäußert, in der Hoffnung, dass die Debatte um die Schengen-Erweiterung vom Ministertreffen im November gestrichen werden würde - dann hätten sie schon bei nächster Gelegenheit nach Jahreswechsel wieder einlenken können, und es wäre nicht viel passiert. Prag aber blieb hart und ließ den Punkt auf der Tagesordnung stehen. So musste Wien beim Nein zu bleiben und sich internationaler Kritik aussetzen.

Die Ratspräsidentschaft, deren Verlauf immer von Zufälligkeiten, langjährigen Entwicklungen und ungeplanten Weltereignissen geprägt ist, hat Tschechien innerhalb der EU weit nach vorne gebracht. Jetzt muss das Land, das seit einem Jahr eine neue Regierung hat, die Gunst der Stunde nutzen.

Schweden übernimmt

Die Vorarbeit der Tschechen könnte dazu führen, dass im neuen Jahr Bewegung in bisher verfahrene Gespräche kommt. So gibt es Hoffnungen auf einen Durchbruch in der EU-Migrationspolitik, die seit Jahren für Zwist unter den Staaten sorgt.

Die Ratspräsidentschaft übernehmen 2023 zwei routinierte EU-Mitglieder: Schweden und Spanien. Im ersten Halbjahr darf die neue schwedische Mitte-Rechts-Regierung ihre Bewährungsprobe absolvieren. Weil die rechtspopulistischen Schwedendemokraten das Kabinett nur tolerieren, aber keine Ministerposten haben, drohen dabei keine Eklats bei Ratssitzungen in Brüssel. Der spanische EU-Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr wiederum könnte von der dortigen Parlamentswahl überschattet werden.