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Wie drückt man Zahnpasta in die Tube?

Von Christian Ortner

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Nichts fürchten die Österreicher wirtschaftlich mehr als Geldentwertung in Folge der Krise. Auch Jahrzehnte leidlich stabiler Preise haben die Urangst vor der Inflation nicht geheilt.


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Kommt sie? Kommt sie doch nicht? Und wenn sie kommt, dann wann? Es gibt derzeit kaum ein anderes wirtschaftsbezogenes Thema, das die abendliche Konversation im geselligen Kreis und die darauf folgenden nächtlichen Alpträume der leidlich wohlhabenden Mittelschicht des Landes so beschäftigt wie sie: die Inflation, von der wir nach Meinung vieler akut bedroht sind.

Dass eine dramatische Geldentwertung droht, glauben nicht ein paar esoterische Spinner, sondern davon ist ein erheblicher Teil der Bevölkerung überzeugt. So benannten etwa bei der jüngsten "Eurobarometer 2010"-Erhebung der EU (durchgeführt im Herbst 2009) satte 50 Prozent der Befragten die Inflation als ihre größte Sorge - weit vor Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Umweltbedrohungen oder illegaler Zuwanderung. Nichts empfinden die Österreicher als bedrohlicher, als hilflos zusehen zu müssen, wie ihr Geld geschrumpft wird; und das kurioserweise nach Jahrzehnten (vergleichsweise) stabiler Preise. Zu tief sitzen offenbar die in zahllosen Familien überlieferten Erinnerungen an die Zeiten der Hyperinflation vor ein paar Generationen, als es für ein paar Milliarden eine Wurstsemmel gab.

Darüber, ob diese Angst berechtigt ist, gibt uns die Ökonomie eine für dieses Fach typische, präzise Antwort: Die eine Hälfte der Experten teilt die Inflationsängste, die zweite Hälfte hält die erste Hälfte für Idioten und im Übrigen die Inflation für so wahrscheinlich wie die Entdeckung eines gewaltigen Ölfeldes unter dem Wiener Finanzministerium.

Ausgelöst haben die akuten Ängste natürlich jene hunderte Milliarden Dollar und Euro, die von den Zentralbanken zum Behuf der Krisenbekämpfung gedruckt worden sind. Wenn aber plötzlich viel mehr Geld da ist, dem nicht entsprechend mehr Güter gegenüberstehen, dann bedeutet das Inflation, fürchtet sich der gemeine Sparer derzeit, und hat damit grundsätzlich ja auch recht. (Dass mächtige Institutionen wie der Weltwährungsfonds neuerdings über die Vorteile von Inflation reden, hilft da auch nur mäßig.)

Die Notenbanken, entgegnen freilich die Inflationsleugner (und natürlich die Notenbanker), würden diese überschüssigen Geldmengen zeitgerecht wieder abschöpfen, sobald die Krise abklinge. Theoretisch ist das auch problemlos möglich, in der Praxis freilich gelingt das ähnlich leicht, wie Zahnpasta zurück in die Tube zu drücken.

Nimmt man etwa die Nachfrage nach Immobilien-Investments hierzulande ("Grundbuch statt Sparbuch") als Indikator, dann ist der Glaube an die diesbezüglichen Fähigkeit der Notenbanken im Moment eher sehr überschaubar.

Für Politiker stellt es stets eine erhebliche Versuchung dar, die von ihnen angehäuften Schuldenberge qua Inflation abschmelzen zu lassen. Denn diese Inflation ist letztlich eine Massensteuer, über die kein Parlament abstimmen kann oder muss. Sie gleicht damit optisch mehr einem Naturereignis als dem, was sie ist: nämlich Ergebnis einer falschen Politik.

Auf die Europäische Zentralbank wird in den kommenden Jahren erheblicher politischer Druck ausgeübt werden, bei einer derartigen Lösung der staatlichen Schuldenprobleme diskret behilflich zu sein, zu Lasten der wehrlosen Sparer. Davon, ob die Notenbanker bei diesem Manöver mitmachen oder nicht, wird letzten Endes abhängen, ob die derzeit größte Sorge der Österreicher berechtigt ist - oder nicht.