Wenn Tourismus zu viel wird: In Österreich greifen sanfte Maßnahmen wie Verkehrsreduzierung und Entzerrung der Besucherströme um sich.
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Wien. "What a beauty!" schwärmt die Kanadierin Marie-Eve auf ihrem Reise-Blog "To Europe and Beyond" über "the absolutely idyllic village of Durnstein". Dazu postet sie Bilder von beinah menschenleeren mittelalterlichen Gässchen, die den Anschein erwecken, als ob das kleine Städtchen in der Wachau noch ein echter Geheimtipp wäre.
Ist es auch -- in der richtigen Jahreszeit. Im oben beschriebenen Fall ist es Mitte Dezember, wo in Dürnstein tatsächlich tote Hose herrscht. Zur Zeit hingegen - die Sommersaison hat begonnen - wird die Idylle durch Horden von Tagestouristen getrübt. Sie kommen in Gruppen per Schiff auf der Donau, per Fahrrad oder per Bus und schwärmen für ein paar Stunden aus. Insbesondere am Samstag sei Dürnstein "wie ein Ameisenhaufen", sagt ein Geschäftsinhaber.
900 Bewohner zählt Dürnstein, etwa hundert von ihnen leben im historischen Stadtkern. Die Kondeor Tourismusforschung hat die Besucher in Dürnstein von Juni bis Oktober 2018 gezählt und kam auf bis zu 12.270 Personen täglich. Der Monat mit der höchsten Frequenz war der September - an jedem einzelnen Werktag wurden im Schnitt 5580 Personen täglich registriert, samstags und sonntags etwa 8500.
Dann ist zwar der Bär los, aber wirklich viel Geld lassen die Ausflügler aufgrund der knappen Zeit nicht da. Ein Drittel der Gäste bleibt laut Studie bis zu eineinhalb Stunden, etwa die Hälfte bis zu maximal drei Stunden. Dabei geben sie pro Kopf 24 Euro aus. Ab einer Besuchszeit von mehr als viereinhalb Stunden - nur 10 Prozent der Gäste bleiben so lange - betragen die Ausgaben im Schnitt 39 Euro.
"Wir sind kein Museum"
Nun will man mit diversen Maßnahmen gegensteuern und die Touristenströme entzerren. So sollen Kulturtouren entwickelt werden, bei denen die Besucher der Kuenringerstadt per App auch zu Sehenswertem abseits der bekannten Wege geführt werden. Radfahrer sollen auf der Donaulände an der Stadt vorbeidirigiert werden beziehungsweise ihre Räder vor der Stadt abstellen können. In weiterer Folge ist die Erstellung eines überregionales Leitsystems und eine einheitliche Busparkplatz-Bewirtschaftung in allen Wachau-Orten geplant. Mit den Schifffahrtsunternehmen wird über geänderte Anlegezeiten geredet.
Von den Gästen wird erwartet, dass sie die Privatsphäre der Bewohner zu respektieren. Eine Art "Benimm-Guide" in acht Sprachen soll das vermitteln. Mario Pulker, Obmann des Tourismusverbands Wachau-Nibelungengau-Kremstal, betont: "Wir sind kein Museum."
Auch die Bevölkerung der 770-Seelen-Gemeinde Hallstatt leidet unter dem Phänomen "Overtourism". Pro Jahr zählt die auf der Unesco-Weltkulturerbe-Liste stehende Reisedestination mit der idyllischen Lage am Hallstätter See rund eine Million Besucher. An manchen Tagen frequentieren fast 10.000 Menschen den Ort.
Da die Anzahl der Reisebusse in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist - von 2014 bis 2018 von rund 8000 auf rund 19.400 - wurde im März im Gemeinderat die Einführung limitierter Slots für Reisebusse beschlossen. Man will damit dem Beispiel der Stadt Salzburg folgen, wo seit Juni 2018 gegen eine Gebühr Zeitfenster von 20 Minuten vergeben werden, in denen die Buslenker bei den beiden innerstädtischen Terminals Fahrgäste ein- und aussteigen lassen können. Seit 1. Juni kostet der Slot 50 statt zuvor 24 Euro. Dafür wurden die Kontrollzeiten an den Terminals verlängert, und das Busparkverbot wird strenger überwacht. Die Gebühr auf den Busparkplätzen wurde zuletzt von 4 auf 10 Euro erhöht.
Das Buchungssystem habe geholfen, die Reisebusse zeitlich und räumlich besser auf die beiden Terminals aufzuteilen, heißt es seitens der Tourismus Salzburg GmbH. 2017, im Jahr vor der Einführung des Online-Buchungssystems, waren geschätzt rund 50.000 Reisebusse in der Stadt unterwegs, 2018 dürfte man auf 40.000 gekommen sein.
Hallstatts Bürgermeister Alexander Scheutz möchte mit der Einführung der Bus-Slots die Zahl der Reisebusse um ein Drittel reduzieren. Im kommenden Jahr soll damit gestartet werden.
Im Prinzip hat man nichts gegen Touristen, so der Grundtenor der Tourismusverantwortlichen. Schließlich bringen die Gäste der lokalen Wirtschaft Umsätze. Aussperren will man sie auf keinen Fall, aber was zu viel ist, ist zu viel. Die Entwicklung in Richtung Overtourism habe sich abgezeichnet, sagt Peter Zellmann, Leiter des Instituts für Tourismus- und Freizeitforschung. Die Politik habe es verabsäumt, rechtzeitig gegenzusteuern. "Aber es ist noch nicht zu spät", betont er. Wichtig sei, dass Maßnahmen lokal und vor Ort in Abstimmung mit den Gastgebern umgesetzt werden.
"Man wird Eintritt verlangen müssen"
Zeigen "sanfte" Maßnahmen nach längerer Zeit keine Wirkung in die richtige Richtung, bleibt nur eines: "Man wird Eintritt verlangen müssen", so Zellmann. Zahlreiche schöne Plätze auf der Welt sind bereits jetzt nur gegen Gebühr zu besichtigen. So kassiert etwa Amsterdam seit Jänner von Kreuzfahrtgästen acht Euro pro Tag. In Venedig ist die Einführung einer Gebühr für Tagestouristen ab September fix.
Zellmann könnte einer Gutscheinvariante viel abgewinnen, bei der sich die Touristen die Eintrittsgebühr über Einkäufe zurückholen können. Das würde wiederum die lokale Wertschöpfung erhöhen.