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Wie eine indische Hochzeit

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Wirtschaft

Indien wird ab 1. Juli ein gemeinsamer Markt. Erstmals gilt dann im ganzen Land eine einheitliche Mehrwertsteuer, die den Handel zwischen den mehr als 30 Bundesstaaten vereinfacht. Doch die Vorbereitungen für die Mega-Reform sind alles andere als ausreichend.


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Neu-Delhi. "Ich warte hier erst seit drei bis vier Stunden", sagt Zakir. Die Schlange von Lastern, die sich gegen Mittag vor dem Checkpoint in Badarpur am Stadtrand von Neu-Delhi staut, ist an diesem Tag etwa drei Kilometer lang. Zakir ist froh darüber. Es sei einer der besseren Tage, sagt er. In seinem Laster hat er 16 Tonnen Getreide aus dem 700 Kilometer entfernten Bhopal geladen, die für den Sadar-Bazar in Delhi bestimmt sind.

Jeden Tag beliefern 20.000 Laster die indische Hauptstadt mit Waren und müssen an einer der 122 Zollstationen warten, um Stadtsteuern, eine spezielle Einfahrtssteuer und eine Umweltabgabe zu entrichten. Manchmal warten sie tagelang. Laut Verkehrsministerium verbringt ein Lastwagenfahrer 16 Prozent der Transitzeit an der Zollabfertigung zwischen den einzelnen indischen Bundesstaaten.

Denn in Indien gelten je nach Bundesstaat unterschiedliche Steuerarten, -sätze und -regeln. Ohne Bestechung geht an den Zollgrenzen zudem oft nichts. Das alles soll sich ab 1. Juli aber ändern, wenn Indien erstmals seit seiner Unabhängigkeit 1947 eine einheitliche Steuer für Waren und Dienstleistungen einführt. Damit werden über Nacht 1,3 Milliarden Menschen und eine Wirtschaft mit einem Volumen von zwei Billionen Euro zu einem Markt.

Kritiker fürchtenerneutes Chaos

Indiens Regierung erhofft sich davon ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent. Die "General Sales Tax" (GST) ist eine der größten Wirtschaftsreformen, die das Land je gesehen hat und trägt die Handschrift von Regierungschef Narendra Modi, der sich als großer Wirtschaftsreformer sieht. Die Einführung sei "historisch", erklärte Modi diese Woche wenig bescheiden. "Die Welt wird Zeugin einer Transformation in Indien sein." Kühlschränke, Klimaanlagen und Autos werden mit 28 Prozent besteuert, Mineralwasser, Kajalstifte und Cornflakes werden mit 18, Butter und Spielkarten mit 12 Prozent belastet, während etwa Milch und Gemüse von der neuen GST-Steuer komplett ausgenommen sind.

Doch nicht alles schien so gut geplant und einfach, wie Modi es darstellte. Geschäftsleute, Industrievereinigungen und Experten warnen bereits seit Wochen vor einem Chaos, wenn am Samstag die neue Einheitssteuer in Kraft tritt. Manche erinnerten daran, dass Premierminister Modi eher ein Mann der radikalen Schnitte als ein bedachter Reformer ist. Seine überraschende Bargeldentwertung im November löste wochenlang Unruhen und Durcheinander im Land aus. Etwas Ähnliches könnte sich nun wiederholen.

Die "All India Manufacturers’ Organisation" verlangte sogar, die GST-Einführung zu verschieben, denn es seien immer noch nicht alle Details hinreichend geklärt, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Das neue System sei zudem aufwendig und zeitraubend: Firmen seien gezwungen, dreimal im Monat eine Steuermeldung an die Behörden zu machen. Dies laufe der Absicht der Regierung entgegen, die Unternehmen von unnötiger Bürokratie zu entlasten, kritisierte K.E. Raghunathan, der Chef der Vereinigung. Andere sorgten sich, dass nun die gesamte Steuer online abgewickelt werden muss. Besonders kleine Firmen, die ihre Buchhaltung noch immer mit Mappen, Ordnern und Papierquittungen machen, seien überfordert, wenn nun alles digital ablaufen müsse.

Firmen wie Dell warben daher mit Computern, die angeblich auf die Steuerreform eingestellt waren. Doch Finanzminister Arun Jaitley wollte von einem Aufschub nichts wissen: "Wir haben nicht den Luxus von Zeit", erklärte er barsch im Sender NDTV. Manche hofften dann, dass es zugeht wie bei einer indischen Hochzeit: Chaos, Streit, Tränen und Katastrophen, doch in letzter Minute kommt alles wie von Zauberhand zusammen. Sicher war das aber bis zuletzt nicht.