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Wie eine Sprache langsam stirbt

Von Markus Kauffmann

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In vierzig Jahren deutscher Teilung entwickelten sich nicht nur Werte auseinander, sondern auch Wörter. Die Kraft des Volksmundes gegen den Staatsjargon der DDR.


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Ost-Berlin, 1971: Szene im einzigen Kabarett, der "Distel": Ein frisch gebackener Schwachstromtechniker möchte eine Stelle.

Es gibt aber nur Bedarf für einen Starkstromtechniker. "Warum habt ihr mich dann für Schwachstrom ausgebildet, obwohl ihr wusstet, dass es keinen Bedarf gibt?" - Antwort des Beamten: "Systemkritiker?" - Die "Absolventenverordnung" zwang junge DDR-Akademiker, drei Jahre in dem Beruf zu arbeiten, den sie auch studiert hatten. Außer, es gab dafür keinen Bedarf . . .

Mit der Verordnung ist auch das Wort verschwunden. Wie viele andere Wörter, die an dieses Staatswesen gebunden waren oder zum offiziellen Jargon gehörten.

So streng Stacheldraht und Mauer Deutsche von Deutschen trennten, so streng trennten auch Sprachregelungen das "einig Vaterland" (DDR-Hymne). Wer "BRD" sagte, wurde im Westen schief angeschaut, weil er "DDR-Jargon" gebrauchte.

Das amtliche Ost-Berlin sprach grundsätzlich nur von der "Be-Er-De", weil man beim Feind positiv besetzte Begriffe wie "Bund", "Republik" oder gar "Deutschland" tunlichst vermied. Der Gebrauch des Akronyms kam einem politischen Bekenntnis gleich.

Volkskammer, Volkspolizei, Nationale Volksarmee sollten die Volksverbundenheit des Regimes hervorheben. So gehörte es zum offiziellen Sprachgebrauch, grundsätzlich von "unserer DDR" zu sprechen.

Im Volk kursierte die Scherzfrage, welche drei der wichtigsten Staaten mit "U" begännen: UdSSR, USA und "Unsere DDR".

Peinlich vermieden wurden Anglizismen, durfte doch die Sprache des Feindes den "antifaschistischen Schutzwall" ( das heißt, die Mauer) nicht durchdringen. "Plastics", im Westen zu Plastik geworden, hieß jenseits der Demarkation eben "Plaste". Ein "hot-dog" wurde zur "Kettwurst", "Nylon" zu "Dederon", ein "Bungalow" zur "Datsche", "Astronauten" zu "Kosmonauten" - Moskau lässt grüßen.

Ein kirchenferner Staat tut sich schwer mit christlichen Symbolen oder Festtagen. Gut, man ersetzte die Firmung durch die sozialistische "Jugendweihe".

Aber was macht man mit Ostern oder Weihnachten? Ganz einfach: Der Schoko-Osterhase wird zum "Schokoladehohlkörper" und der Weihnachtsengel zur "Jahresendfigur mit Flügeln".

Freilich gab es auch neutrale Begriffe, die gleichwohl die gesellschaftlichen Zustände im Arbeiter- und Bauernstaat spiegelten. Was im Westen der "KOB", also der Polizist im Viertel, war eben im Osten der "ABV" (= Abschnittsbevollmächtigter).

Statt ins Einkaufscenter oder zum Supermarkt ging man eben in die "Kaufhalle" oder in den HO-Laden (staatliche Handelsorganisation).

Bestellte man in der HO-Gaststätte einen Broiler mit Sättigungsbeilage und Zusatzkomponente, erhielt man, wenn man Glück hatte, ein Brathähnchen, Kartoffeln und ein Dessert.

Als Ventil fungierte die Sprache des Volkes, das unter Mangelwirtschaft und Stasi-Bespitzelung (genannt "VEB Guck und Horch") litt.

Wer nicht gerade im "Tal der Ahnungslosen" lebte - so hieß der ehemalige DDR-Bezirk Dresden, in dem man kein West-Fernsehen empfangen konnte - begab sich aus seinem Arbeiterschließfach (Plattenbauwohnung), um mit einem Forumscheck (Westgeld) im Inter-Shop "Bückware" (nur unterm Ladentisch zu haben), zum Beispiel Niethosen (Jeans) aus'm Westen zu kaufen.

Die wurde schnell in der Renn-Pappe (Trabant) verstaut und dann ging's zum Subbotnik, der "freiwilligen", unbezahlten Arbeit im Betrieb.