Donald Trump startete als so seltsamer wie aussichtsloser Kandidat. Jetzt ist er beinahe im Ziel.
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Washington. Man kennt das ja: Etwas passiert, obwohl doch alle Experten zuvor endlos beteuert hatten, genau das sei unmöglich. Jedenfalls nach allen Standards des menschlichen Ermessens.
Allerdings hält sich die Realität nicht immer an die Prognosen der Propheten. Das noch vor wenigen Monaten schier Unmögliche ist eingetreten: Donald "The Donald" Trump (69) hat die Nominierung zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten in Griffweite. Eigentlich kann den exzentrischen Immobilientycoon nur noch ein Last-Minute-Umsturz auf dem Parteitag im Juli stoppen. Aber auch nur dann, wenn Trump bis dahin die notwendigen 1237 Delegierten-Stimmen verfehlt. Nach den jüngsten Vorwahlen in Florida, Illinois, Ohio und North Carolina hält der Gott-sei-bei-uns des Establishments bei 621 Stimmen, der verbliebene Favorit der Parteigranden, Ohios Gouverneur John Kasich, liegt bei 138 Stimmen.
Wer hat Schuld? Die Politologen
Wer trägt die "Schuld" an dieser kolossalen Fehleinschätzung der meinungsstarken Expertenarmada? Diese Frage wird in akademischen Zirkeln der USA seit einigen Wochen hitzig diskutiert. Eine der originelleren Antworten liefert Daniel Drezner, Professor für internationale Politik an der Bostoner Tufts University. Er schiebt in einem pointierten Artikel in der "Washington Post" ("The real reason Donald Trump is winnig") Ende Februar den schwarzen Peter seiner eigenen Zunft zu, den Politologen.
Jetzt, nachdem "The Donald" das scheinbar Unmögliche geschafft hat, besteht kein Mangel an klugen Erklärungen, warum er es doch geschafft hat, als da wären: der Frust der republikanischen Basis mit den Parteiführung insbesondere in den Fragen von illegaler Zuwanderung und Handelspolitik, das beeindruckende Talent Trumps zur Selbstinszenierung in Zeiten von Twitter und Facebook, die gezielten Verstöße gegen die Regeln des guten Geschmacks und Anstands und und und. Hinterher sind bekanntlich auch die Experten verlässlich schlauer.
Warum aber erst jetzt? Drezner hat einen ganz bestimmten Schuldigen im Visier, nämlich ein in den USA unter Experten und vor allem jüngeren Journalisten höchst einflussreiches politikwissenschaftliches Buch aus dem Jahr 2008 mit dem Titel "The Party Decides: Presidential Nominations Before and After Reform". Dessen Hypothese lautet kurz gefasst: Die Parteien hätten es in der Hand, die Entscheidung der Wähler in den Vorwahlen zu steuern. Der Titel des Buches ist daher programmatisch zu verstehen: Die Partei entscheidet, und niemand sonst. Und die Vorwahlen der vergangenen Jahrzehnte - seit deren Reform in den 1960ern und 1970ern, mit dem Ziel, das Ruder wieder in die Händen der Parteigranden zu legen - haben den Beleg für diese Behauptung erbracht.
Im Falle Trumps hätten sich nun, so argumentiert Drezner, die Journalisten auf dieses scheinbar eherne Gesetz berufen, um lautstark zu verkünden, dass "The Donald" ohnehin chancenlos sei, weil eben aus Sicht des Establishments nicht mehrheitsfähig. Und die Parteigranden samt Trum-Konkurrenten wiederum hätten sich auf die Beteuerungen der Journalisten verlassen, dass dieser Außenseiter mit seiner fast schon grotesk größenwahnsinnigen Kampagne eben zum Scheitern verurteilt sei. Weshalb sie ihn zu Beginn der Vorwahlen schlicht ignorierten und sich selbst als gemäßigte Kandidaten inszenierten, um sich - man denke an die These des Buches - die Unterstützung der republikanischen Granden zu sichern.
Ein fast perfekter Zirkelschluss. Aber eben nur fast.
Trump triumphierte also, weil sich die publizistische Elite auf bisherigen Erfahrungswerte verließ und sich die zahlreichen republikanischen Mitbewerber und die grauen Eminenzen im Hintergrund aufgrund dieser Expertise nicht rechtzeitig und entschlossen dem vermeintlich chancenlosen Außenseiter entgegenstellten.
Dilemma kollektiven Handelns
Trump stellte die Partei - in den Worten Drezners - vor ein Ökonomen gut bekanntes Dilemma kollektiven Handels: Eigentlich war es im Interesse jedes der einst 16 Konkurrenten Trumps, dass wenigstens einer den Self-made-Millionär hart attackiert, und dies möglichst frühzeitig im Vorwahlrennen. Allerdings hatte jeder einzelne der Mitbewerber triftige Gründe, nicht in die Angreiferrolle zu schlüpfen - Trump pflegt seine Kritiker mit biblischem Zorn und beißendem Spott zu überziehen. Also hoffte jeder, ein anderer möge sich für die unangenehme Aufgabe opfern . . .
Das Ergebnis ist bekannt. Erst, als sich Trump bereits vom chancenlosen Wirrkopf zum aussichtsreichsten Anwärter auf die republikanische Nominierung für die Präsidentschaftswahlen am 8. November mauserte, begann sich innerhalb der Partei der Widerstand zu formieren. Oder wie es Daniel Drezner formuliert: "Als Politikwissenschafter muss ich zumindest die Möglichkeit erwägen, dass all dies passierte, weil die Parteigranden zu viel Politikwissenschaft lasen."
Trump hat nun vor Gewaltausbrüchen gewarnt, sollte er von seiner Partei nicht zum Kandidaten nominiert werden. "Dann würde es Krawalle geben, glaube ich", sagte er dem Sender CNN am Mittwoch. "Ich vertrete viele, viele Millionen Menschen."
Heute ist das offensichtlich. Ganz genau so wie die erstaunliche Kette hartnäckiger Fehlprognosen ausgewiesener Experten.
Mehr zu den Vorwahlen ind en USA in unserem Dossier.