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Wie fängt man Ratten im stockfinsteren Tunnel?

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare

Zitate aus dem heiligen Koran wären eine bessere Waffe gegen islamistischen Terror als emotionale Reaktionen.


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Wenn einheimische Terror-Lehrlinge zur Fortbildung in den "Islamischen Staat" (IS) reisen, hinterlassen sie auf dem Radarschirm der Sicherheitsdienste Spuren. Nicht erfasst werden unbegleitete jugendliche Flüchtlinge, die sich in Europa ein besseres Leben und nicht Gewalttaten erhoffen. Folglich nimmt die massive IS-Propaganda im Internet solche Flüchtlinge sowie unauffällige Europäer mit etwas Sympathie für den Islam aufs Korn. Immerhin können in einem riesigen Fangnetz einige Fische hängenbleiben.

Seit 2014 predigt die IS-Propaganda, der Kampf gegen Ungläubige sei nicht nur als Dschihad zu führen. Als Kampfmittel genügen Messer, Werkzeug, Autos oder Lkw, um Ungläubige in die Hölle zu schicken, wo sie laut Koran "Kleider aus Feuer tragen" und "siedendes Wasser trinken, das ihre Därme zerreißt".

Das könnte die überraschende Radikalisierung der bisher unauffälligen Attentäter von Nizza und Würzburg erklären.

Nach solchen Anschlägen erfasst sofort Empörung die zivilisierte Welt. Staatsmänner verurteilen die Untaten als feig, hinterhältig oder menschenverachtend und bekunden den Hinterbliebenen tiefstes Mitgefühl. Was sollten sie sonst sagen? Beeindruckt solche Verachtung potenzielle Terroristen? Die Terror-Internationale erkennt, dass die von russischen Anarchisten im 19. Jahrhundert entwickelte "Propaganda der Tat" so richtig eingeschlagen hat. Hinzu kommt der Senf, den Politiker der dritten Garnitur den Regierungen und Sicherheitsbehörden auf die Traktandenliste schmierten: Allgemeines Versagen in der Terror-Abwehr. Der Terror-Internationale schmeckt das wie Honig. Und Spekulationen über Attentäter als Marionetten von Drahtziehern im Hintergrund verstärken den Eindruck allmächtiger Terroristen.

Den IS, Al-Kaida, Boko Haram oder Al-Schabaab wortgewaltig zu verdonnern, geht ins Leere. Alle diese Terroristen geben vor, für den Islam und gegen die Kufr (die ungläubigen Feinde Allahs) zu kämpfen. Das böte den Ansatzpunkt, nicht nur Zorn und Trauer zu bekunden, sondern sie beim Wort Allahs zu nehmen. Denn der Koran verbietet das Töten Unschuldiger nachdrücklich. Welche Schuld hatten Passanten an der Strandpromenade in Nizza oder die Fahrgäste des Regionalzugs in Würzburg auf sich geladen? Und wofür musste man sich an Unschuldigen "rächen"? Selbst im Islam sind Gerichte und nicht Rächer dafür zuständig, Verbrecher abzuurteilen.

Als psychologische Gegentaktik böten sich bei Trauerbekundungen Koranzitate an, die auch der aufgebrachten Öffentlichkeit vor Augen führen würden, dass der IS den Islam vorschützt, um seine Machtgelüste zu stillen. Statt Emotionen also Argumente, die dazu beitragen könnten, nicht alle Muslime pauschal als Dschihadisten und Terroristen zu verurteilen. Zudem fiele es den diversen Rechtspopulisten erheblich schwerer, gegen "den Islam" zu hetzen und Muslime unter Generalverdacht zu stellen.

Mit einer beispielhaft emotionalen Überreaktion beantwortete US-Präsident George W. Bush den Angriff auf das World Trade Center: "Die USA erklären dem Terror den Krieg." Seine Strategie schlug fehl, denn sie löste nicht die Frage, wie man Ratten im stockfinsteren Tunnel fängt.