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Wie formt Behinderung das Umfeld?

Von Rosemarie Kappler

Wissen

Späte Mutterschaft und künstliche Befruchtung werfen soziale Fragen auf. | Untersuchung an derzeit 60 Familien. |


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Saarbrücken. Sozial von wichtiger Bedeutung: Die Entwicklung von Zwillingen, wenn eines der Kinder mit einer Behinderung wie Trisomie 21, dem Down-Syndrom, leben muss. - Wie formen beide in ihrer Unterschiedlichkeit die gesamte Familienstruktur, wie wirken sie auf das gesellschaftliche Umfeld und wie nimmt dieses die Zwillinge wahr und auf?
Antworten auf diese und weitere Fragen wollen Humangenetiker und Entwicklungspsychologen der Universität des Saarlandes mit einer Studie finden, die das Leben von Familien mit Zwillingen in den Blick nimmt, von denen ein Kind das Down-Syndrom aufweist, das andere hingegen gesund zur Welt kam. Mit derzeit 60 Familien aus Deutschland und Österreich wird dabei die weltweit größte Gruppe solcher Zwillingspaare untersucht.

Manchmal sind Kinder grausam. Und dennoch spiegeln sie lediglich wider, was sie geprägt hat. Oft sind das übernommene Vorurteile, falsche Vorstellungen und Unwissen aus dem engsten Umfeld. Da kann es passieren, dass ein Mitschüler ausgegrenzt wird, weil Bruder oder Schwester behindert sind. Ja, was kann ich denn dafür, dass das so ist, denkt sich das betroffene Kind möglicherweise frustriert, vielleicht sieht es aber auch deutlich, dass diese Freunde auf keinen Fall die richtigen sind, was seine soziale und emotionale Kompetenz erheblich stärkt.

Prävalenz 1:500

Viele in der Sozialforschung Tätige vermuten deshalb, dass nichtbehinderte Kinder sozial und emotional von behinderten Kindern profitieren, während umgekehrt behinderte Kinder - die oft über ein ausgeprägte Einfühlungsvermögen verfügen - aus den geistigen Fähigkeiten von nichtbehinderten Geschwistern Gewinn ziehen. Doch Vermutungen sind alles andere als ein Beweis. "Deshalb ist unsere Studie insgesamt von sozial wichtiger Relevanz", sagt Prof. Wolfram Henn, Leiter der humangenetischen Beratungsstelle am Universitätsklinikum des Saarlandes. Dass das gemeinsam mit der Entwicklungspsychologin Prof. Gisa Aschersleben auf den Weg gebrachte und von der Volkswagen-Stiftung mit rund 160.000 Euro geförderte Forschungsprojekt auf dem Down-Syndrom aufbaut, liegt daran, dass es sich um das klassische Bild einer häufigen genetisch bedingten Behinderung handelt. Die durchschnittliche Prävalenz liegt bei etwa einem Fall unter 500 Lebendgeburten. Es handelt sich dabei um eine (nur selten vererbte) Genom-Mutation, die vor allem mit dem zunehmendem Alter der Mutter und damit ihrer Eizellen zusammenhängt.

"Noch vor 30 Jahren mussten Menschen mit Down-Syndrom oft in Heimen leben", so Henn. Dank einem besseren Ursachen-verständnis und vieler Förderungsmöglichkeiten hat sich dies grundlegend gewandelt, wenngleich Betroffene häufig noch immer diskriminiert werden. Allerdings ist wenig über die Entwicklung von diskordanten Down-Syndrom-Zwillingen bekannt. Bereits früh müssen sich Eltern drängenden Fragen stellen: Drohen Komplikationen in der Schwangerschaft? Wie werden wir mit der Situation umgehen können? Wie werden die Zwillinge in der Gesellschaft aufgenommen?

Mehr Zwillingsgeburten

Antworten auf diese Fragen sind auch vor einem anderen sozialen Hintergrund von Bedeutung. Henn: "Der zunehmende Trend, Schwangerschaften durch künstliche Befruchtung einzuleiten, führt parallel zu mehr Zwillingsschwangerschaften. Auch ältere Frauen, die sich ihren Kinderwunsch erst spät erfüllen, bekommen eher Zwillinge." Infolge dessen gehen aus etwa jeder achtzigsten Schwangerschaft Zwillinge hervor, meist zweieiige. Bei zweieiigen Zwillingen ist es höchst unwahrscheinlich, dass beide das Down-Syndrom haben.

Das Wissen um Entwicklung und Familiensituation will das Forschungsprojekt deshalb mit detaillierten Fragen über einen Zeitraum von drei Jahren mehren, um so Beratung und Förderungsmöglichkeiten verbessern zu helfen. Das Interesse zur Teilnahme an der Studie ist laut Henn sowohl von Betroffenen- als auch Medizinseite immens.

www.downsyndrom-zwillinge.de