Zum Hauptinhalt springen

Wie geht es nun mit der EU weiter?

Von Waldemar Hummer

Kommentare
Waldemar Hummer ist Universitätsprofessor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck. Foto: privat

Nach der Ablehnung des Vertrages von Lissabon durch die Iren herrscht in der EU Ratlosigkeit. Die Optionen, die nun zur Verfügung stehen, sind äußerst komplex.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 16 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Nachdem bereits 18 Mitgliedstaaten den Vertrag von Lissabon vom 13.Dezember 2007 ratifiziert hatten, lehnte ihn das irische Volk am 12.Juni 2008 mit 53,4 Prozent Nein-Stimmen deutlich ab. In Unkenntnis des irischen Verfassungsrecht, das es der Regierung untersagt, mit öffentlichen Mitteln eine "Kampagne" für oder gegen eine Weiterentwicklung der Europäischen Union zu führen (vgl. dazu Glosse in der "Wiener Zeitung" vom 7. Mai 2008), macht man nun die Regierung von Brian Cowen dafür verantwortlich, dass sie viel zu zögerlich und mit zu geringen finanziellen Mitteln für den Vertrag von Lissabon geworben hätte. In Wirklichkeit waren es diffuse Ängste der irischen Bevölkerung und der Einsatz von 1,3 Millionen Euro durch den irischen Millionär Declan Ganley, die zu diesem negativen Ergebnis geführt hatten.

Sechs Optionen

Die Möglichkeiten, die der EU zur Sanierung dieses unerwarteten Desasters zur Verfügung stehen, sind sowohl politisch als auch juristisch äußerst komplex.

Option 1: Wiederholung des Referendums unter Berücksichtigung der drei "heiligen Kühe" Irlands - militärische Neutralität, Abtreibung und Unternehmenssteuern - in einem Zusatzprotokoll.

Vorteil: Der Vertrag müsste nicht neu verhandelt werden; Nachteil: Maßgebliche irische Politiker haben diese Alternative bereits ausgeschlossen.

Option 2: Fortsetzung der Ratifikation durch die noch fehlenden acht Mitgliedstaaten. Damit soll Druck auf Irland erzeugt und der Wille einer engeren Integration, unter Umständen auch ohne Irland, dokumentiert werden.

Vorteil: Die Integrationsbefürworter deklarieren sich als Kandidaten für eine spätere "verstärkte Zusammenarbeit"; Nachteil: Wie kann man die noch fehlenden Mitgliedstaaten, vor allem Großbritannien und die Tschechische Republik, zur Ratifikation eines bereits für tot erklärten Vertrages veranlassen, wenn dies schon beim Verfassungs-Vertrag nicht gelang, obwohl dort über ein eigenes Protokoll an sich eine Ratifikationspflicht bestanden hat?

Option 3: "Verstärkte Zusammenarbeit" kerneuropäischer Staaten. Vorteil: Engere Zusammenarbeit der integrationswilligen Staaten; Nachteil: Desintegrierte EU mit mehreren Geschwindigkeiten.

Option 4: Aushandlung eines neuen Vertrages. Vorteil: Überwindung der Blockade; Nachteil: Zu unterschiedliche Ausgangspositionen, die einen weiterführenden Vertragsinhalt unwahrscheinlich machen.

Option 5: Aushandlung eines veränderten Abstimmungsmodus. Vorteil: Man könnte die Ratifikation durch alle 27 Mitgliedstaaten durch ein europaweites Referendum ersetzen, für das die doppelte Mehrheit - nämlich 50 Prozent der Unionsbürger und mindestens 50 Prozent der Mitgliedstaaten - gelten könnte; Nachteil: Dieser Modus müsste zunächst nach dem bestehenden Vertragsänderungsverfahren des Artikels 48 EU-Vertrag - mit Einstimmigkeit - beschlossen werden und würde auch große verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen.

Option 6: Anreicherung des Vertrags von Nizza durch demokratiepolitische Neuerungen des Vertrages von Lissabon wie zum Beispiel Inkraftsetzung der Grundrechte-Charta, Stärkung der Rechte des Europäischen Parlaments, Mitbeteiligung der nationalen Parlamente, Subsidiaritätsklage, Bürgerinitiative etc. Vorteil: Abbau des Demokratiedefizits; Nachteil: Überwindung des Widerstands von Großbritannien und Polen.

Von allen Variante scheint die letzte allerdings die aussichtsreichste zu sein.