Nach ihrer Vertreibung haben die Rohingya Angst, nach Myanmar zurückzukehren.
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Kutupalong/Wien. Die Busse standen schon bereit. Doch sie blieben leer. Denn die Passagiere, die sie besteigen hätten sollen, kamen nicht.
Ende vergangen Jahres wollte Bangladesch damit beginnen, die ersten Rohingya zurück nach Myanmar (Burma) zu bringen. Rund 900.000 Angehörige der moslemischen Minderheit sind seit dem Sommer 2017 aus Myanmar in das Nachbarland geflohen und leben dort in Flüchtlingscamps. Nachdem damals eine Rebellengruppe der Rohingya Grenz- und Polizeiposten angegriffen und dabei rund ein Dutzend Sicherheitskräfte getötet hatte, kam es zu einer gewalttätigen Antwort, bei der kein Unterschied zwischen Zivilisten und Untergrundkämpfern gemacht wurde. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt, was durch Luftaufnahmen dokumentiert ist, Flüchtlinge berichteten unabhängig voneinander von Plünderungen, Morden und Vergewaltigungen - sowohl durch Sicherheitskräfte als auch durch buddhistische Bürgermilizen.
Mittlerweile hat Bangladesch mit Myanmar vereinbart, dass das Nachbarland die Rohingya zurücknimmt. Doch diese wollen nicht, und die Regierung von Bangladesch hat schon verlauten lassen, dass sie die Flüchtlinge nicht gewaltsam zur Rückkehr zwingen wird.
Die Rohingya hätten Angst, dass sie bei ihrer Rückkehr erneut Opfer von Gewalt würden, berichtet der Österreicher Erfried Malle, der immer wieder in die Flüchtlingscamps nach Bangladesch reist und dort mit Vertretern der Rohingya gesprochen hat. "Sie wollen nur in Gruppen von mindestens 20.000 Personen oder mehr nach Myanmar zurückkehren", sagt Malle. Zudem würden sie sich geschützter fühlen, wenn die Rückkehr unter der Aufsicht der UNO geschieht.
Malle ist Obmann der NGO "Sonne International", die in dem Flüchtlingscamp Kutupalong eine Gesundheitsstation betreibt. 130 bis 150 Patienten würden dort täglich versorgt, von zwei Ärzten, einer Krankenschwester und einem weiteren Helfer, die alle aus Bangladesch sind.
Sonne ist darauf eingestellt, dass die Flüchtlinge noch länger bleiben. "Wir setzen alles daran, dass wir dieses Projekt noch ein Jahr fortsetzen können", sagt Malle. Das Problem: Sonne ist auf Spenden angewiesen, und das Projekt ist noch nicht ganz ausfinanziert.
7000 Familien hängen an Gesundheitsprojekt von NGO
3000 Euro betragen im Monat die Mindestkosten, sagt Malle. "Wenn wir abziehen, sind auf einen Schlag 7000 Familien ohne medizinische Versorgung." Momentan hat die Organisation zwar genug Geld, um das Personal zu finanzieren. Sonne kann aber nicht alle Medikamente besorgen, die benötigt werden. So fehlen etwa manchmal Nahrungsergänzungsmittel für unterernährte Kinder. Weitere Krankheiten, die häufig auftreten, sind laut Malle hohes Fieber, Durchfall und der Befall mit Würmern. Denn in den Camps herrsche oft mangelnde Hygiene. Es gebe nicht genug Latrinen und immer wieder würden sich die Abwässer mit dem Wasser für den täglichen Bedarf vermischen, berichtet Malle.
Die Flüchtlingslager sind improvisierte Städte. Sie bestehen großteils aus schnell zusammengezimmerten Hütten, bei denen über Holzgestelle Zeltplanen gelegt wurden. Im Sommer heizen diese Hütten immens auf, in der Regenzeit können sie jederzeit weggeschwemmt werden.
Verwaltet werden diese Zeltstädte von der Regierung von Bangladesch, die auch die Arbeit der dutzenden NGOs, ohne die diese Camps wohl zusammenbrechen würden, koordiniert.
Bangladesch scheint in der Rohingya-Frage nun zweigleisig zu fahren: Einerseits geht das Kabinett rund um Premierministerin Sheikh Hasina offenbar davon aus, dass die Rohingya noch eine Weile bleiben werden. Die Behörden legen in manchen Flüchtlingscamps Kanäle an, festigen die Straßen. Gleichzeitig wird nichts zugelassen, was den Eindruck erwecken könnte, dass Bangladesch die Rohingya dauerhaft integrieren will. So ist es den NGOs zwar erlaubt, Rohingya-Kinder zu unterrichten - aber nur in Burmesisch und Englisch und nicht in Bengali, der Landessprache von Bangladesch. Dabei sprechen viele Rohingya selbst Bengali, oder zumindest Chittagong, eine dem Bengali verwandte Sprache.
Das dicht besiedelte Land, in dem auf der doppelten Fläche von Österreich 164 Millionen Einwohner leben, hat in der Rohingya-Krise etwa ebenso viele Flüchtlinge aufgenommen wie Deutschland 2015 - dabei aber auch viel internationale Hilfe bekommen. Auch in Bangladesch hat es anfänglich eine Willkommenskultur gegeben, berichtet Malle. "Aus dem ganzen Land sind Leute in die Flüchtlingscamps angereist, haben ein paar Tage mitgeholfen oder Geschenke gebracht", berichtet er. "Mittlerweile gibt es aber die Befürchtung, dass die Stimmung kippt."
Denn viele Einheimische bekommen zusehends den Eindruck, dass sie auf der Strecke bleiben, während internationale Hilfe an die Rohingya geht. Deshalb fordern die Behörden, dass künftige Vorhaben Einheimische einbeziehen. Auch Sonne wäre davon betroffen, die NGO müsste für ein Ausbildungsprojekt, das sie plant, nun mindestens die Hälfte der Plätze an Bangladeschi vergeben. Malle hat dafür Verständnis. "Viele Menschen, die dort leben, sind ebenfalls bitterarm."
Streit um Staatsbürgerschaft der Rohingya
Premierministerin Hasina hat gefordert, dass der internationale Druck auf Myanmar erhöht wird, damit das Nachbarland die Rohingya tatsächlich zurücknimmt. Dazu bekennt sich die von Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi angeführte Regierung Myanmars zwar offiziell, doch vor Ort schaffen die Behörden offenbar andere Fakten. Ein Bericht der Nachrichtenagentur Reuters, der sich auf Satellitenbilder und Zeugenaussagen stützt, hat dokumentiert, dass in ehemals von Moslems bewohnten Dörfern im Teilstaat Rakhine - wohin Myanmar derzeit keine internationalen Beobachter lässt - nun Buddhisten angesiedelt werden oder Armeeposten entstehen.
Ein weiterer ungelöster Streit ist die Staatsbürgerschaft. Myanmar sieht die Rohingya als illegale Einwanderer an und will ihnen keinen Pass geben. Die Rohingya wollen aber nicht als Bürger zweiter Klasse zurückkehren. Auch kein anderer Staat will den Rohingya eine Staatsbürgerschaft geben. Somit bleiben sie Gefangene eines Provisoriums der Armut, Menschen, für die kein Land dauerhaft Platz haben will.