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Wie geht man mit dem Stammtisch um?

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Von Kern zu Merkel-Schulz.


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Wie geht man eigentlich mit dem sogenannten Stammtisch um? Mit jenen "Sorgen", die nur eine Umschreibung für Ressentiments aller Art sind? Anders gesagt: Was ist eigentlich Repräsentation?

In jeder Gesellschaft gibt es Alltagsrassismus. Die Frage ist aber: Wie stellt sich dieser politisch dar? Robert Menasse meint, in Österreich gäbe es rund 30 Prozent der Bevölkerung, die solches teilen. Und es seien diese 30 Prozent, die "den politischen Spin produzieren".

Didier Eribon hat gezeigt, dass man solche Vorurteile in Frankreich auch bei ehemaligen KP-Wählern, die heute Marine Le Pen wählen, fand. Schon damals. Trotzdem gibt es einen Unterschied zwischen damals und heute - den unterschiedlichen Umgang der Politik damit. Man muss also verstehen, dass Politik eine eminente Funktion in Bezug auf Ressentiments hat. Eben deshalb sollten wir über Repräsentation sprechen. Politische Repräsentation ist nicht einfach Darstellung von dem, was da ist. Etwa: Es gibt Ressentiments in der Bevölkerung, deshalb müssen diese auch repräsentiert werden. Weder sind Ressentiments einfach etwas Gegebenes, noch ist Repräsentation einfach Abbildung dessen, was da ist.

Denn die Darstellung, das Zum-Wort-Kommen wirkt ja auf das Dargestellte zurück. Repräsentiert bekommen Ressentiments einen ganz anderen Stellenwert als nicht repräsentiert. Die Stimme des Volkes wiedergeben, bedeutet eigentlich: den Ressentiments einen diskursiven Rahmen eröffnen, ihnen eine öffentliche Sprache geben. Damit werden diese aber legitimiert und befördert. Denn Repräsentation verändert das Repräsentierte: Aus spontanen Vorurteilen werden dann politisch akzeptierte.

Auf der anderen Seite steht eine Politik, die Repräsentation nicht als Abbildung missversteht, und die sich deshalb nicht aufgerufen fühlt, vorhandene Ressentiments aufnehmen zu müssen. Damit verschwinden solche Vorurteile nicht. Aber sie werden eben nicht legitimiert, nicht akzeptiert und nicht befördert.

Diese zwei Umgangsformen sind in etwa der Unterschied zwischen dem Video "Am Stammtisch" von Bundeskanzler Christian Kern und der TV-Debatte zwischen Angela Merkel und Martin Schulz.

Ersteres war der Aufbruch zu einer heiklen Gratwanderung an österreichische Stammtische ohne das Rüstzeug einer Gegenrede. Aufklärung? Debatte? Argumentieren? Das Problem dabei ist: Gegen Ressentiments kann man nicht vernünftig anreden, weil sie sich aus anderer Quelle als jener der Vernunft speisen. Da kann man nur Dagegenhalten. Die eigene Position markieren. Wenn man also Ressentiments so prominent zu Wort kommen lässt, dann muss man wissen, wie man damit umgeht - um diese nicht zur Darstellung, zur Repräsentation zu bringen.

Merkel und Schulz hingegen haben bei der Debatte das nicht getan. Sie haben sich auf das diskursive Minenfeld der Flüchtlingsfrage begeben, ohne dem Rassismus oder der Fremdenfeindlichkeit Raum zu geben - also, ohne diese durch falsch verstandene Repräsentation zu befördern. Sie haben vielmehr den schwankenden Boden des Diskurses befestigt durch Entschlossenheit zur Regulierung - ohne dabei die Offenheit zu opfern. Hier haben die 30 Prozent den Spin nicht vorgegeben.