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Wie historische Aufarbeitung nicht enden sollte

Von Alexander Pinwinkler

Gastkommentare
Alexander Pinwinkler ist Mitglied des Fachbeirats Straßennamen der Stadt Salzburg und Privatdozent für Zeitgeschichte an der Universität Wien.
© Stadt Salzburg / Alexander Killer

Umbenennen oder nicht? Der Umgang mit NS-belasteten Straßennamen in der Festspielstadt Salzburg.


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Die Auseinandersetzung mit umstrittenen Ereignissen und Personen der Vergangenheit hat viele Facetten. In Europa und den USA geriet zuletzt vor allem der Kolonialismus in den Fokus der öffentlichen Debatte. Das Thema ist emotional so aufgeheizt, dass Denkmäler mit Farbe beschmiert oder sogar gestürzt werden. In Österreich ist hingegen die Aufarbeitung der NS-Diktatur nach wie vor jenes Feld, welches große mediale Resonanz erzeugt.

Es geht dabei längst nicht mehr darum, Geschichte einfach zu entsorgen, indem ein Denkmal entfernt oder ein einzelner Straßenname umbenannt wird. Vielmehr soll ein kritisches Bewusstsein für verdrängte Aspekte der Geschichte geschaffen und dazu beigetragen werden, ein auf Toleranz basierendes Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft zu gewährleisten.

Erinnern und Gedenken gelingen jedoch nicht immer. Das aktuellste Beispiel, wie politische Interessen einen zeitgemäßen Umgang mit der NS-Geschichte torpedieren können, ist die Stadt Salzburg. Viele berühmte und zugleich NS-belastete Musiker wie zum Beispiel Herbert von Karajan, Wilhelm Furtwängler oder Richard Strauss haben in der Geburtsstadt Wolfgang Amadeus Mozarts gewirkt. Sie alle wurden posthum mit Straßennamen geehrt. Im Juni 2021 hat eine Historikerkommission im Auftrag der Stadt Salzburg einen rund 1.100 Seiten umfassenden Bericht vorgelegt. Darin werden die Biografien von 66 Trägern von Straßennamen akribisch untersucht. 13 Personen, unter denen sich auch Herbert von Karajan befindet, wurden der sogenannten Kategorie drei zugeordnet - damit war die Empfehlung an den Gemeinderat verbunden, eine Umbenennung der betreffenden Straßen in Erwägung zu ziehen.

Der Salzburger Bürgermeister Harald Preuner (ÖVP) ist strikt dagegen, Straßen aufgrund von NS-Belastungen umzubenennen. Er engagierte einen seiner Partei nahestehenden Historiker, der in einer dreiseitigen (!) Stellungnahme vorschlägt, bloß vier Straßen mit Ergänzungstafeln zu versehen. Diese Straßen liegen alle am Stadtrand. In Salzburg sind hingegen bereits 148 Erläuterungstafeln montiert worden, weitere Tafeln sind geplant. Preuner hat für seine paradoxe Intervention bereits eine politische Mehrheit organisiert. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass das vom Gemeinderat eigentlich beschlossene Vorhaben, alle 566 personenbezogenen Straßennamen mit Erläuterungstafeln zu versehen, Stückwerk bleibt.

Der Salzburger Fall ist ein Lehrstück dafür, wie die Aufarbeitung lokaler NS-Geschichte nicht enden sollte: Eine Historikerkommission erstellt in jahrelanger Arbeit einen Bericht, der in der Fachwelt Anerkennung findet. Ein Bürgermeister nutzt seine politische Macht, um dieses Projekt abzuwürgen. Medien und Zivilgesellschaft reagieren bestenfalls verhalten. Wissenschaft, Politik und Medien sind zwar vielfach aufeinander angewiesen. Wenn einer dieser Player - in diesem Fall die historische Forschung - aber nicht zumindest von einem weiteren der genannten Player Unterstützung findet, hat dessen Anliegen offenbar kaum Aussichten, Gehör zu finden.