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Wie in den 1930ern?

Von Ritt Goldstein

Politik

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"Blutbad Irak" titelte eine Zeitung. Ein Bild des Vormarsches der Militärmaschinerie der Bush-Regierung - dazwischen Leichen. In dem Artikel berichtete ein US-Offizier, dass die Toten am Straßenrand aufgetürmt waren. Er fügte hinzu, dass befürchtet wird, dass eine große Anzahl der Toten Zivilisten sind. Laut dem Internationalen Roten Kreuz in Genf gibt es "zu viele Todesopfer, um sie zu zählen".

Und Hans Blix beschuldigt die USA, dass sie den Irak-Krieg "lang im Voraus" geplant hätten. Amerikas Präsentation der gefälschten Dokumente, um den Konflikt zu rechtfertigen, sei "sehr, sehr beunruhigend", so Blix weiter. Die Blitzangriffe gegen den Irak und die Umstände der Okkupation des Irak, die immer mehr an die Öffentlichkeit kommen, rufen Erinnerungen an den "Blitzkrieg" einer anderen Ära hervor und an seine Folgen.

Anfang April konnte das Rote Kreuz den Südirak erreichen. Sie sahen "unfassbare" zivile Opfer, "und auch einen Wagenladung von verstümmelten Frauen und Kinder", sagte der Rot Kreuz Sprecher im Irak. In Belgien wurde versucht, den US-Befehlshaber des Irak-Kriegs, General Tommy Franks, des Genozids anzuklagen.

Für die Menschen ist es einleuchtend, dass Terrorismus bekämpft werden muss, die Tötung von unschuldigen Frauen und Kindern gestoppt- aber was ist mit der Wagenladung voll verstümmelter Frauen und Kinder. Natürlich verwendeten schon Adam und Eva Feigenblätter, aber Feigenblätter können nicht die Zielsetzungen der USA nach weltpolitischer Vorherrschaft verdecken. Das Ziel Dominanz zu erlangen, um Zugang zu Öl und Benzin aus erster Hand zu erlangen.

Aber das meiste davon habe ich bereits vor einem Jahr in einem Artikel mit dem Titel "Déjà vu: Die 1930er" geschrieben. Vor einem Jahr schrieb ich auch über jene, die die "Notwendigkeit" eines amerikanischen Reiches verteidigten. In einer Zeitung wurde der Artikel mit einem Bild abgedruckt, das die deutschen Wehrmacht zeigt, wie sie durch einen Stadt marschiert.

Aber es geht hier um weit mehr als nur den Irak. Bereits 1996 hat der ehemalige US-Berater für Nationale Sicherheit Zbigniew Brezinski ziemlich prägnant ein Bild eines amerikanischen Reiches beschrieben. "Die großen Imperative imperialer Weltpolitik sind, Geheimpakte zu verhindern und Sicherheit zu gewährleisten. Weiters muss die Abhängigkeit der Vasallen aufrecht erhalten werden, um die Tributspflichtigen fügsam und beschützt zu halten und um die Barbaren davon abzuhalten, sich zusammenzuschließen", so Brezinski.

Aber George Bush ist nicht Julius Cäsar. Der Horror des Irak-Kriegs ist beunruhigend. Vielleicht ist es aber nur ein Symptom einer älteren, tödlicheren Erkrankung, einer sozialen Störung, die zuvor das Leben von zig Millionen gekostet hat. Und was ist, wenn die Rückkehr dieser tödlichen gesellschaftlichen Seuche bisher weitgehend unerkannt geblieben ist. Vor etwa 20 Jahren ist eine Freundin von mir an Eierstockkrebs gestorben. Sie hat schon lang vorher gewusst, dass "irgendetwas" nicht stimmte. Sie sagte sich selbst und mir aber immer, dass es nur leichte Bauchschmerzen waren. Aber das war es nicht.

Und genauso wie Krebs können sich auch politische Ideen und Vorstellungen, die Aggression rechtfertigen, ausbreiten, und das auf sehr tödliche Weise. Schon vor einem Jahr habe ich beschrieben, was ich meine. Als der italienische Premierminister Silvio Berlusconi damals die "Überlegenheit" westlicher Denkweisen hinausposaunte, sprach er nur aus, was viele im Stillen dachten. Während der Krieg gegen den Terror weiter geht ist Berlusconis Vision, dass der Westen "bestimmt ist, andere Menschen zu verwestlichen und einzunehmen", sehr treffend in Bezug auf Bushs Taten und Zielsetzungen.

In den 1930ern griff Italien Äthiopien an und heute ist die Bush Regierung mit Afghanistan fertig, arbeitet noch an Irak und sowohl Syrien als auch der Iran wurden bereits "gewarnt". Vielleicht, wenn sich die menschliche Natur nicht wesentlich verändert, wiederholt sich die Geschichte einfach. 1941 publizierte der Sozialpsychologe Erich Fromm "Die Furcht vor der Freiheit". Das Buch ist ein Klassiker, eine Analyse der Auswirkungen von sozialen und psychologischen Kräften auf die Gesellschaft. Als ich es kürzlich wieder gelesen habe, schien es, als sei ein Großteil davon erst vor kurzem geschrieben worden. Fromm beschreibt den Einfluss verschiedener sozialer und wirtschaftlicher Umgebungen auf das menschliche Verhalten. Er merkt an, dass Umstände ähnlich jenen, die heute vorherrschen, menschliche Beziehungen vergiftet hatten durch den "Kampf zur Aufrechterhaltung von Macht und Reichtum (...) der Einzelne wurde von einem leidenschaftlichen Egozentrismus vereinnahmt, einer unstillbaren Gier".

Ich sage natürlich nicht, dass die Skandale um US-Konzerne wie Enron, WorldCom, Global Crossing, Xerox und zahlreiche andere ausreichend Beweise für diese Theorie liefern. Ich werde auch nicht auf die scheinbar allzu zutreffenden Beschwerden über Massenausbeutung eingehen, die die Anti-Globalisierungs-Bewegung wiederholt zur Sprache gebracht hat.

Aber Fromm streicht heraus, dass "Individuen als ,Objekte' angesehen wurden, die benutzt und manipuliert werden konnten, oder sie wurden rücksichtslos zerstört, wenn es dem eigenen Nutzen diente". Diese Logik bietet auch eine gute Erklärung für jetzige moderne Raubritter, Massenausbeutung und Krieg.

Vielleicht geht es hier aber auch nicht nur um die Grenzen menschlicher Gier und die Kapazität für rücksichtslose Zielsetzungen. Vielleicht geht es hierbei um Glaube, Vertrauen und die vielen guten Menschen unter uns, die diese Werte missbraucht haben. Vielleicht wurden, während wir mit den endlosen Zirkussen unserer Gesellschaft, die alle ablenken, nur die unheilbar Intellektuellen nicht, eine ganze Menge guter Menschen einfach und brutal verführt. "Man fühlt sich sicher und zuversichtlich, dass die Errungenschaften der modernen Demokratie alle bösen Mächte ausgelöscht haben (...) unfähig zu glauben, dass Menschen einen solchen Hang zum Bösen, eine solche Lust auf Macht, eine solche Missachtung der Rechte der Schwachen zur Schau stellen (...) Nur ein paar wenigen war das Beben des Vulkans vor dem Ausbruch bewusst", stellt Fromm fest.

Nachdem der Deutsche Reichstag zerstört worden war (angeblich durch Kommunisten aber in Wirklichkeit von den Nazis selbst), übernahm Hitler die Macht im Ausnahmezustand. Ich werde hier aber nicht Bushs Notfallsgesetzgebung nach dem 11. September ausführen. Aber damals, als Unterdrückung und gegen die Welt gerichtete Aggression wuchsen, wurden für jene, die sich sorgten und ihr Vertrauen dem Falschen gaben, verheerende Vorgänge einfach "weg erklärt".

Fromm beobachtete wie Hitler mit der Öffentlichkeit spielte. Hitler beteuerte, dass er nur nach "Frieden und Freiheit" strebe, "dass seine Maßnahmen den Interessen der Zivilisation" dienten. Aber späte Einsicht ist immer leicht. In den 1930ern muss es für die meisten extrem schwer gewesen sein, abzuschätzen was passierte und was bald noch kommen sollte. Wie kann man aber nur daran denken, das heutige Amerika mit einem faschistischen Staat zu vergleichen, obwohl die Bush-Regierung extremen Nationalismus und Militarismus zur Schau gestellt und geheime Militärtribunale per Gesetz erlassen hat, in physische Folter verwickelt ist, Regimekritiker stark unterdrückt und die Freiheit von Einzelnen drastisch eingeschränkt hat, während die Macht der Polizei enorm ausgeweitet wurde.

Definitionen von Faschismus in Wörterbuchern listen ähnliche Eigenschaften auf. Einige weitverbreitete Zeitungen scheinen ähnliche Bedenken zu haben. In Artikeln wurde kürzlich festgestellt, dass der Außenminister der Nazis Joachim von Ribbentrop bei den Nürnberger Prozessen verurteilt und hingerichtet wurde wegen Verschwörung in einem Angriffskrieg. Es wurde auch geschrieben, dass Bush einige Handlungen gesetzt hat, die jenen, für die Ribbentrop verurteilt wurde, unglaublich ähnlich sind.

In einem Aufruf, initiiert vom namhaften internationalen Juristen Ian Brownlie und unterschrieben von 150 weiteren prominenten Kollegen, wird der Irak Konflikt als illegal bezeichnet. Außerdem seien all jene, die den Angriff unterstützen, mitschuldig. Ende letzten Jahres passierte eine Abänderung des Servicemember's Protection Act (ASPA) - das Gesetz, das Angehörige der US-Armee vor einem Prozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof schützen soll (Anm.) - das Parlament. ASPA erlaubt die Anwendung von militärischer Gewalt, um jeden Amerikaner, der von der Kommission für "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" des Internationalen Strafgerichtshofs angeklagt wird, zu "befreien".

Während Sie diese Zeilen lesen gibt es noch immer ein paar, die sich nicht eingestehen wollen, dass "irgendetwas" ganz und gar nicht in Ordnung ist. Vielleicht sah Fromm solche Umstände voraus. Er warnte, dass es "keinen größeren Fehler und keine schwerwiegendere Gefahr gibt, als nicht zu sehen, dass wir in unserer eigenen Gesellschaft dem selbem Phänomen gegenüber stehen, welches überall auf der Welt den fruchtbaren Nährboden für den Faschismus bildet".

Übersetzung: Barbara Ottawa