Politiker fordern Sanktionen für integrationsunwillige Jugendliche, doch zur Integration gehören zwingend zwei Seiten.
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Wien. Der Topf ist wieder gefüllt, in dem der Migrationseintopf vor sich hinköchelt und in dem alles wild hineingeschmissen wird, was thematisch irgendwie verwandt klingt: Asyl und Zuwanderung, Religion und Spracherwerb und jetzt neu: Radikalisierung und Integration. Denn so muss man wohl die Rufe nach Sanktionen gegen "Integrationsunwilligkeit" verstehen: als Ultima-Ratio-Maßnahme gegen Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen.
Es waren unter anderem die SPÖ-Landeshauptleute Franz Voves und Hans Niessl, aber auch Integrationsminister Sebastian Kurz, die Strafen in Extremfällen andachten. Und auch Bildungsministerin Gabriele Heinisch-Hosek will über Strafen "diskutieren, wenn es partout nicht funktioniert", wie sie sagte. Sie räumte jedoch ein, dass sich jene Experten, die sie am Montag zum Thema Bildung und Extremismus geladen hatte, geschlossen gegen diese Ideen aussprachen.
Vielleicht auch deshalb, weil Integrationswilligkeit nicht erzwungen werden kann? Die FPÖ applaudierte dem Vorstoß jedenfalls und verwies auf ihre langjährigen Forderungen für Sanktionen gegen Integrationsunwilligkeit. Allerdings dürfte die Politik hierbei vergessen, und das zum wiederholten Mal, dass Integration zwingend ein beidseitiger Prozess ist. Sie also nur dann gelingen kann, wenn Zuwanderer einerseits und die Gesellschaft anderseits Bereitschaft und Offenheit dafür zeigen. Das grenzt die Integration von der Assimilation ab, also der Übernahme von etwa Lebensstil, Kultur und Sprache, wobei diese Grenzen manchmal auch verschwimmen.
Kein Mittel gegen Radikalisierung
Assimilation wäre natürlich auch eine Option für den Umgang mit Migration, es ist allerdings fraglich, ob es auch ein taugliches Mittel gegen Radikalisierung wäre, wie dies Kurz, Niessl, Voves und FPÖ insinuieren. Historisch gesehen ist Assimilation am ehesten das angewandte Konzept der USA, wie sich nicht zuletzt an der Biografie Arnold Schwarzeneggers zeigt, den man längst als amerikanisches Idol bezeichnen kann - halt mit einer angeborenen Schwäche für Apfelstrudel.
Der Apfelstrudel wiederum lässt sich als Teil gelebter Integration sehen, denn er musste quer durch Europa reisen, um irgendwann zur Wiener Spezialität zu werden. Der Strudelteig ist jedenfalls eindeutig türkischer Herkunft, wie natürlich auch der Kaffee, der in den berühmten Cafés der Hauptstadt gerne zum Apfelstrudel gereicht wird.
Wenn nun Integration, die man auch abseits des Kulinarischen als Erweiterung des Bestehenden verstehen kann, ein beidseitiger Prozess ist, muss man bei einer Diskussion über Integrationsunwilligkeit notwendigerweise beide Seiten untersuchen, jene der Zuwanderer sowie jene der Gesellschaft und der Politik.
Wobei es bei der nun angestoßen Diskussion so gut wie ausschließlich um muslimische Zuwanderung nach Österreich geht, die Mitte der 1960er-Jahre im Zuge der Gastarbeiterabkommen begann. Es war eine gewollte und wirtschaftlich benötigte Zuwanderung, die auch anfangs auf breite Zustimmung stieß. Dennoch traf der Befund der "Integrationsunwilligkeit" zu jener Zeit wohl auf beide Seiten zu. Auch der Begriff "Gastarbeiter" verweist auf das Provisorium, das man glaubte, zu schaffen.
Migranten sind in vielen Bereichen benachteiligt
Ab den 70er-Jahren war dann aber klar, dass aus dem Provisorium ein Dauerzustand wird, was auch mit dem Familiennachzug gewürdigt wurde. Integration war aber dennoch kaum Thema und in der Bevölkerung wuchsen die Widerstände gegen die Zuwanderung. Ein bestehendes Problem manifestierte sich jedoch durch das Ende des Provisoriums: die systematische Benachteiligung der Gastarbeiter bei Bildung, Wohnen und sozialen Transfers. Ob gewollt oder nicht: Sie waren Bürger zweiter Klasse.
Über Jahrzehnte, und in manchen Bereichen bis heute, sind Migranten nachweisbar schlechter gestellt. Zwar werden die Kinder von Zuwandern nicht mehr quasiautomatisch in Sonderschulen gesteckt, wie das in den späten 70er-Jahren passierte, dennoch sind Migranten auch heute noch in diesen schulischen Spezialformen auffallend überrepräsentiert. Auch die Tatsache, dass Zuwanderer laut Studien ungesünder sind, sie weniger verdienen und schlechter wohnen, lässt auf eine vielleicht nicht gewollt, aber eben doch systematische Benachteiligung schließen. Aus diesem Umstand ließe sich daher auch herauslesen, dass auch die österreichische Gesellschaft und die Politik "integrationsunwillig" ist (oder zumindest war).
Ausländerdebatte hat sichauf Muslime kanalisiert
Beim Thema Integration ist jedoch seit Beginn der muslimischen Zuwanderung viel passiert. Es gibt zig Initiativen, staatliche wie zivilgesellschaftliche, die auch gut funktionieren. Die Früchte dieser Arbeit lassen sich aber nicht unmittelbar ernten, bei Integration muss man in Generationen denken. Es dauert eben.
Das ist bei extremistischen Entwicklungen aber nicht möglich, hier muss die Politik handeln. In diesem Fall versucht sie es mit dem Ruf nach Strafen, wenn Jugendliche den Anschein erwecken, eine sehr fundamentalistische Auslegung des Islams zu leben. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass diese Symptome misslungener Integration erst Jahrzehnte nach den ersten Gastarbeiterabkommen auftreten. Mag sein, dass früher einfach nie darüber berichtet wurde, wahrscheinlich ist dies aber nicht.
Da jedoch wirksame Strategien immer auf präzisen Problemanalysen beruhen, müsste die Politik auch eruieren, warum es diese jüngere Entwicklung gibt und welche Rolle die geänderte Debatte über den Islam seit 9/11 spielt, auch in Europa. Dieser Anschlag war auch in der Diskussion über Migration eine Zäsur, da sich das Augenmerk sehr plötzlich weniger auf die Migration als solche richtete, als auf die spezifische muslimische Zuwanderung.
Das hat spürbar zu einer Polarisierung geführt, die zwingend auf beiden Seiten zu Ausschlägen führt. Auf der eine Seite die massive Ablehnung von Muslimen und das Aufkommen einer gesellschaftlichen Islamophobie. Auf der anderen Seite eine extreme Auslegung des Islams, die das überwiegend säkulare Leben in Europa konterkariert.
Ob in einer derart polarisierten Situation Ideen wie jene von Voves, Kurz und Co. sinnvoll sind, die nur eine Seite der Integration ansprechen, nämlich die der Zuwanderer, ist zu bezweifeln.