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Wie kann man die EU verlassen?

Von Emil Popov

Wirtschaft

Grönland trat 1985 aus der Europäischen Gemeinschaft aus. | EU-Vertrag würde freiwilligen Austritt präzisieren. | Wien. Die europäischen Verträge von Rom bis Nizza reglementieren klar, wie ein Staat der EU beitreten kann. Sie enthalten jedoch keine Regelung dafür, wie man die Gemeinschaft freiwillig verlassen kann. Sowohl im Artikel 51 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) als auch im Artikel 312 des Vertrags zur Europäischen Gemeinschaft ist verankert, dass die Verträge auf "unbegrenzte Zeit" gelten. Bedeutet dies, dass der Beitritt eine ewige Zugehörigkeit zur EU zur Folge hat?


Die Integrationsgeschichte kennt einen Präzedenzfall, bei dem ein Territorium die EG verlassen hat. Nach 12-jähriger Mitgliedschaft hat sich Grönland 1985 von der Gemeinschaft getrennt. Obwohl geographisch näher an Nordamerika, gehört die Insel auch heute nach dem Inkrafttreten des neuen Selbstverwaltungsstatuts politisch zum Alten Kontinent. Die ehemalige dänische Kolonie wurde bereits 1953 "gleichberechtigter" Bestandteil des Königreichs Dänemark. Jedoch verschwanden mit diesem Akt keinesfalls die Unterschiede zwischen Grönländern und Dänen. Dies wurde 1972 besonders deutlich, als die Dänen vor der Hamletfrage standen: Soll das Königreich Mitglied der EG "sein oder nicht sein"? Beim durchgeführten Referendum waren 63 Prozent der Dänen für den Beitritt, gleichzeitig waren etwa drei Viertel der Grönländer dagegen. Die Nachkommen der Inuit befürchteten, dass das Schicksal des traditionellen Fischfangs nicht mehr auf der Insel, sondern im entfernten Brüssel entschieden wird. Doch als Teil des Dänischen Königreichs wurde Grönland am 1. Jänner 1973 Teil der EG.

Rot-weiß statt blau

1979 bekam die Insel den Status einer "inneren Autonomie" im Rahmen des Königreichs. Beflügelt von ihrer relativen Selbständigkeit und unzufrieden mit der Präsenz der europäischen Fischereiflotte in den eigenen Gewässern, beschlossen die Grönländer, sich von der EG zu verabschieden. Beim Referendum vom 23. Februar 1982 stimmten 52 Prozent für den Austritt - und am 1. Februar 1985 wehte über Grönland nicht mehr der blaue Sternenbanner, sondern die rot-weiße grönländische Flagge.

Kann heute ein EU-Mitgliedstaat dem Beispiel Grönlands folgen? Artikel 60 des bisher noch nicht in Kraft getretenen Vertrags über eine Verfassung für Europa reglementierte zum ersten Mal den "freiwilligen Austritt" aus der Union.

Paradoxerweise war unter den Gegnern der Verfassung auch der Leader der französischen Front National, Jean-Marie Le Pen, der gleichzeitig den Austritt Frankreichs aus der EU als "Gefängnis für die Völker" propagierte. Es ist merkwürdig, dass in den früheren Verträgen die Möglichkeit des freiwilligen Austritts nicht verankert war. Sogar Artikel 17 der sowjetischen Verfassung beinhaltete das Recht der einzelnen Republiken, die Union zu verlassen - jedoch ohne zu bestimmen, wie dies genau passieren kann.

Der Artikel 50 des Vertrags über die EU in der Fassung von Lissabon wiederholt fast wörtlich den Artikel 60 des gescheiterten Verfassungsvertrags. Die Union handelt mit dem austretenden Staat ein Abkommen aus. Dieses wird vom Rat im Namen der Union beschlossen, wobei der Rat mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments entscheidet. Die Vertreter des austretenden Staates nehmen weder an den Beratungen noch an der Beschlussfassung teil.

Kein Gefängnis

Die im Lissabon-Vertrag verankerte Möglichkeit eines freiwilligen Austritts aus der Union ist ein Argument gegen die Gegner des Vertrags. Sie ist ein Beweis dafür, dass die EU kein Gefängnis, sondern ein Zusammenschluss von Staaten ist, die freiwillig auf dem Weg zur europäischen Einigung gehen wollen. Diejenigen, die es nicht wollen, haben die Option auszutreten. Dass diese Möglichkeit erst durch den neuen Reformvertrag garantiert ist, wird von den Kreuzrittern des Euroskeptizismus einfach ignoriert.