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Die 34 wichtigsten Faktoren, die zur großen Krise führten. | Und 6 Scheinursachen. | Im Nachhinein sind immer alle klüger. Das gilt auch für die Weltwirtschaftskrise, zweifellos die wichtigste Hinterlassenschaft des Jahres 2008, die uns noch länger mit Wohlstandsverlusten, Arbeitslosigkeit und damit auch der wachsenden Wahrscheinlichkeit sozialer, politischer oder gar militärischer Spannungen quälen wird. | Die sechs prominentesten Scheinursachen der Krise
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Es ist daher enorm wichtig, aus der Krise zu lernen. Vor einigen ihrer Ursachen ist auch schon lange vorher gewarnt worden - womit freilich nicht die stets im Nachhinein auftretenden Ich-habe-es-ja-schon-immer-gesagt-Typen gemeint sind, sondern etwa die Warnungen des österreichischen Ökonomen Erich Streissler vor der US-Schuldenpolitik.
Das heißt aber nicht, dass alle Ursachen der Krise vermeidbar gewesen wären. Das heißt ebenso wenig, dass jede von irgendwem genannte Ursache wirklich zur Krise beigetragen hat. Das heißt nicht, dass eine krisenfreie Weltordnung überhaupt möglich wäre. Das heißt nicht, dass selbst eine perfekte Analyse schon ein Rezept für einen sicheren Ausweg aus der Krise wäre. Und das heißt auch nicht, dass wenigstens im Rückblick die ganze Komplexität der zahlreichen Krisenursachen eindeutig klar wäre.
Ihre wichtigsten Faktoren sind das jedoch schon. Diese seien daher hier mit dem Bemühen um eine wertende Reihenfolge zusammengefasst: Das heißt, dass die erstgenannten Kausalitäten die wichtigsten gewesen sind.
1. Zu viel Geld im Umlauf: In Amerika wie in Europa ist die Geldmenge rascher gewachsen als das Realvermögen. Das war im Grund eine globale Blase.
2. Verlust des Risikobewusstseins: Viele Menschen haben (auch durch Werbung von Anlagefirmen, politische Propaganda und fehlende ökonomische Schulbildung irregeleitet) das Grundprinzip jeder Veranlagung vergessen: Hohe Ertragsaussichten gibt es nur bei erhöhtem Risiko.
3. Amerikas politische Hypotheken: Zum Wählerfang wollten die US-Regierungen seit Bill Clinton auch jenen Bürgern, die es sich finanziell nicht leisten können, ein Eigenheim verschaffen. Deshalb wurden die Banken unter Druck gesetzt, in signifikantem Ausmaß nicht-weißen Minderheiten Hypothekarkredite einzuräumen.
4. Amerika erzeugte zu viel Geld: George W. Bush und die mit ihm zu sehr kooperierende Notenbank Fed wollten die am Beginn seiner Amtszeit eingetretene Konjunkturdelle rasch überwinden. Die Fed senkte die Zinsen (was mehr Geld unter die Menschen brachte) und die Regierung machte wieder saftige Defizite. Anlass der Flaute war das Platzen der Internet-Blase nach der Jahrtausendwende. Diese Blase bestand in der absurden Überbewertung von allem, was nach einer Homepage aussah, durch die Investmentbanker (was einige junge, kreative Programmbastler reich und viele Anleger arm gemacht hatte).
5. Die Illusion eines Gratis-Krieges: Ein noch stärkeres Motiv für Defizite gab es für Bush nach den Anschlägen des 11. September 2001 und den beiden sündteuren Kriegen in Afghanistan und Irak: Damit er nicht an Popularität verliert (was ihm dann später dennoch passierte), wollte er den Amerikanern die Kosten dieser Kriege ersparen.
6. Die Ökonomen übersahen die versteckte Inflation: Überproduktion von Geld führt normalerweise zu einer Preisexplosion. Diese fand aber kaum statt, denn die Konsumartikel (mit deren Preisen traditionellerweise die Inflation gemessen wird) blieben dank der Überschwemmung der Märkte mit asiatischen Billigprodukten günstig. Das unter die Amerikaner gebrachte Geld konzentrierte sich an anderen Orten ("Blasen"): vor allem bei den dadurch rasch an Wert gewinnenden Aktien und Immobilien.
7. Das Wildbach-Phänomen: Sobald einmal zu viel Geld im Markt ist, helfen Regulierungen nur noch wenig, auch wenn einige Regulierungsdefizite zu nennen sind. Diese Regulierungen gleichen aber denen von Wildbächen, wenn es zuviel regnet: Die etwa in Österreich um viel Steuergeld vorgenommenen Bachregulierungen haben zwar bestimmten Alpentälern Hochwässer erspart, solche sind dann aber weiter unten an den großen Flüssen mit umso ärgeren Folgen aufgetreten, weil zu viel Wasser immer irgendwo hinfließen muss. Sodass man letztlich viele Regulierungen wieder teuer rückbauen musste.
8. Rudeldenken: Die Menschen - nicht zuletzt von den Medien beeinflusst - verfallen psychologisch immer gleichzeitig in Krisen- wie in Hochstimmung. Diese Stimmungen sind so ansteckend, dass die meisten Aktien bei den höchsten Kursen gekauft werden, und dass bei Steigen von Arbeitslosigkeit und Pleiten auch jene sparen, denen kein Unbill droht. Das löst zyklische Übertreibungen nach unten und oben aus.
9. Amerikas überbewertete Immobilien: In Amerika wurden auf Immobilien (zum Teil auch auf Aktiendepots) viel zu hohe Kredite gegeben: Während Banken in Europa eine Wohnung oder ein Grundstück meist nur mit rund 60 Prozent als Sicherstellung nehmen, waren das in Amerika oft 110, ja in einzelnen Fällen sogar 125 Prozent. Man glaubte dort, dass sich der Wert von Immobilien automatisch alle paar Jahre verdoppelt, sodass sie sich gleichsam selbst bezahlen.
10. Rating-Agenturen versagten: Rating-Agenturen sind dazu da, um die Sicherheit von Geldanlagen zu bewerten. Sie haben die amerikanischen "Asset Backed Securities" (ABS) immer als sehr sicher bewertet. Diese ABS bündeln ähnlich wie Pfandbriefe Forderungen an Hypothekarschuldner. Sie sind allerdings nach Risikoklassen zusammengefasst; für höhere Risiken gab es mehr Zinsen. Aber auch auf diese riskanten "Subprime"-ABS gab es ein gutes Rating. Darauf fielen auch vorsichtige Anleger herein. Unklar ist, ob die Agenturen wegen ihrer guten Beziehungen zu den ABS-Verkäufern ein Auge zudrückten oder ob sie selbst glaubten, durch die Streuung auf viele Hypothekarschuldner seien jene Papiere wirklich sicher.
11. Amerikanisches Rating-Monopol: Auch viele europäische Banken haben sich auf die bis 2008 hochangesehenen US-Agenturen verlassen, denen keine europäischen Institutionen gegenüberstehen. Daher hatten deren Fehler globale Folgen.
12. Kontrollversagen: Es ist für die oft personell und qualitativ unterbesetzten Finanzmarktaufseher technisch schwer, Banker effizient zu kontrollieren, wenn sich diese unkorrekt verhalten (siehe Bawag oder Hypo Alpe-Adria). Bei den Hypothekenpapieren kam hinzu, dass deren Bündelung oft über ausgegliederte, nicht als Banken firmierende Institutionen passiert ist.
13. Falsche Bilanzierungsregeln: Die Amerikaner und in ihrem Gefolge auch die EU haben unter Druck der Geldanleger Bilanzierungsregeln durchgesetzt, die zwar transparenter, aber auch riskanter sind als etwa die traditionellen österreichischen. Diese neuen Regeln bewerten das Vermögen einer Firma nach dem gegenwärtigen, zeitweise durch Blasen aufgeblähten Wert, was bisweilen schöne Gewinne ergibt. In Österreich hat hingegen der Anschaffungswert immer zu weit konservativeren Ergebnissen geführt (und natürlich dementsprechend auch oft zu stillen, nicht in der Bilanz aufscheinenden Reserven).
14. Amerika sparte nicht: Die künstliche Geldvermehrung in den USA gewöhnte den Amerikanern das Sparen ab. Sie glaubten, alle Krisen wären im Griff.
15. Das Geld floss nur in eine Richtung: Auch der Rest der Welt glaubte an das Geldwunder der USA (aber auch an ihre als Folge der militärischen Stärke überlegene Stabilität) und trug sein Geld in hohem Ausmaß nach New York. Dieser Glaube hält zum Teil noch an: Denn auch im Krisenjahr 2008 hat die Wall Street weit weniger verloren als die Wiener Börse.
16. Eigenkapitalmangel: Fast alle Banken hatten zu wenig Eigenkapital zurücklegen müssen. Da ja ein Euro/Dollar, der nur sicherheitshalber in Reserve liegt, um Sparguthaben auszuzahlen, keine Rendite bringt, haben sie das - bisher - auch aus freien Stücken nicht getan.
17. Europa sparte nicht: Auch die Europäer sparen nur scheinbar. Denn ihre Regierungen sind zum Unterschied von den USA in der Pensionsversicherung massive Verpflichtungen auf die Zukunft (also Schulden) eingegangen, denen aber keine Rücklagen (also Ersparnisse) gegenüberstehen, wie es bei einer echten Bilanz notwendig wäre. Diese Schulden werden ignoriert und nicht in die offizielle Staatsverschuldung einberechnet - was sich in Zukunft rächen wird. Denn sie sind noch riskanter als die jetzige Finanzkrise.
18. China sparte zu viel: Ein guter Teil des in den USA und Europa zu viel ausgegebenen Geldes landete in neukapitalistischen Staaten wie China oder Vietnam. Dort wurde aber zu viel davon gehortet (in bar oder in amerikanischen Schatzscheinen), statt es für nationale Infrastruktur und Konsum auszugeben, sodass sich das globale Ungleichgewicht bedrohlich verschoben hat.
19. Keynes wurde falsch verstanden: Manche Politiker wollen nun zum Keynesianismus zurückkehren. Der sagt im Wesentlichen: In der Krise sollen die Staaten zur Ankurbelung hohe Defizite machen, in der Hochkonjunktur entsprechende Überschüsse. Jedoch berufen sich jetzt genau dieselben Politiker auf Keynes, die auch in der Hochkonjunktur im Gegensatz zu Keynes immer für Defizite waren. Damals wurden die Schulden jeweils mit Verweis auf angeblich dringende soziale oder auch ökologische Anliegen begründet, die aber in den Konsum flossen.
20. "Spekulationen": Oft konnte man in der Zeit des von der Geldüberproduktion ausgelösten Booms mehr durch Geldanlagen verdienen als durch Arbeit. Dagegen wäre nichts zu sagen, wären diese Anlagen nicht häufig durch Kredite finanziert worden, und hätten nicht manche Industriefirmen dabei ihr eigentliches Grundgeschäft vergessen.
21. Kurzsichtige Öl-Exporteure: Die Öl-Länder nutzten jede Chance, den Preis hochzutreiben, ist Öl doch oft ihre einzige Einkommensquelle. Sie übersahen aber, dass dies in den Abnehmerländern einen Kollaps auslöst, der dann auch sie voll nach unten reißt.
22. Biosprit: Die Öl- und die Lebensmittelpreise sind noch als letzte Etappe der Hochkonjunktur vor Ausbruch der Krise steil gestiegen, was dann mit die Krise ausgelöst hat. Die Steigerung der Lebensmittelpreise geht vor allem auf die Abzweigung eines Teils der Getreideernte für die Biosprit-Produktion zurück. Die ist wieder Folge der von vielen seriösen Experten kritisierten CO2-Panik.
23. Keine Verzichtbereitschaft: Mehr als sechs Jahrzehnte fast ununterbrochenen Aufstiegs haben das kollektive Wissen zerstört, dass die Grundlage von Wohlstand primär in Arbeit und Sparsamkeit, in Bildung und Kreativität liegt. Zugleich sind die Ansprüche individueller, sozialer und ökologischer Natur regelmäßig rascher gestiegen als die Produktivität. Appelle zur Sparsamkeit galten zuletzt als politischer Selbstmord.
24. Zu lange anhaltender Aufschwung: Das lange Ausbleiben einer echten Rezession hat auch dazu geführt, dass immer mehr kränkelnde Betriebe mitgeschleppt worden sind, die nun - den Abschwung zyklisch verstärkend - alle ins Schleudern kommen und dabei gesunde Betriebe mitreißen. Ebenso hat der lange Boom Betrügereien wie den Madoff-Skandal viel zu lange unentdeckt schwelen lassen.
25. Unfinanzierbare Zwei-Klassen-Gesellschaft: Ein Musterbeispiel ist Spanien, das Land mit der höchsten Arbeitslosigkeit in der EU. Dennoch hat dieses Land gleichzeitig Millionen Afrikaner legal und illegal ins Land gelassen, die heute an Stelle der Spanier die unangenehmen Arbeiten erledigen. Zugleich haben dort die EU-Gelder eine an Amerika erinnernde Immobilienblase gefüllt, die ebenfalls geplatzt ist.
26. Üble Finanzberater: Viele Anleger sind Opfer schlechter - primär auf die eigenen Provisionen achtender - Berater geworden. Diese gab es in fast allen Banken und noch mehr bei außerhalb der Banken agierenden Anlagefirmen. Hier herrscht massiver Regulierungsbedarf, hier müssen genauso wie bei anderen Beratungsberufen in den heiklen Bereichen Gesundheit, Psyche, Recht strikte Qualitäts- und Haftungskriterien rechtlich verankert werden (während ja der Rest der Gewerbeordnung nur dem Schutz vor Konkurrenten dient und den Konsumenten schadet).
27. Quartalsdenken: Manager bekamen weltweit in den letzten Jahren zunehmend erfolgsabhängige Bezüge. Was im Prinzip richtig ist. Was jedoch katastrophal wird, wenn der Erfolg kurzfristig gemessen wird. Das löst eine Abcash-Mentalität und ein "Hinter mir die Sintflut" aus. Schuld sind Aufsichtsräte und Analysten, die zu wenig langfristig denken.
28. Versäumte Hochkonjunktur: Die Staaten haben die fetten Jahre weder zur Schaffung von Ersparnissen genützt, noch um selbst durch Verwaltungsreformen produktiv und zukunftstauglich zu werden.
29. Die Demografie: In Japan sind schon eineinhalb Jahrzehnte lang die Folgen dessen spürbar, was sich nun auch in Europa auswirkt: Eine Generation geht in Pension, die viel zu wenige Kinder hinterlässt. Ihr fürs Alter angespartes Kapital wird dadurch entwertet, dass zu wenige produktive Junge da sind, die neues Kapital schaffen.
30. Asien ist fleißiger: Warum soll die Welt noch teure Produkte aus dem Westen kaufen, sobald jene aus Asien qualitativ genauso hochwertig sind? Vor allem Europa hat sich aber trotz dieser Konkurrenz geweigert, die überhöhten Steuer- und Lohnkosten zurückzunehmen.
31. Managergehälter: Diese sind oft provozierend hoch. Das ist zwar für die Bilanzen unbedeutend, aber ein schlechtes Beispiel: Umso weniger konnten die Gewerkschaften zur Zurückhaltung motiviert werden, was schädlich für die europäische Konkurrenzfähigkeit und Arbeitsplätze ist.
32. Irrglaube an den Konsum: Manche glauben, Krisen durch Erhöhung des individuellen Konsums (etwa als Folge von Lohnerhöhungen, Steuersenkungen oder gesteigerten Sozialausgaben) bekämpfen zu können. Das ist in einer globalisierten Wirtschaft absurd, wenn nicht alle Länder mittun. Denn etwa in Österreich oder Deutschland fließt ein Gutteil der Konsumausgaben in den Import. In Krisenzeiten wird das zusätzliche Geld dann überhaupt aus Angst gespart. Zugleich wird die heimische Produktion durch höhere Löhne noch mehr belastet.
33. Die Lehman-Pleite: Die Mehrheit der Experten sieht eine weitere Ursache der Krise darin, dass die US-Regierung als einzige Finanzinstitution Lehman Brothers pleitegehen ließ. Jenseits aller Spekulationen über versteckten Antisemitismus steht fest, dass dadurch ein negativer Schneeballeffekt ausgelöst wurde. Andere sehen darin aber auch einen durchaus heilsamen Schock.
34. Kreditbremse: Viele Unternehmen leiden darunter, dass die Banken plötzlich sehr restriktiv bei der Kreditvergabe geworden sind. Was aber auch eine logische Folge der Tatsache ist, dass die Banken früher zu wenig kritisch bei der Auswahl ihrer Schuldner waren, und dass viele Firmen heute nicht mehr kreditwürdig sind. Eine weitere Ursache der Kreditbremse sind die auf Druck der EU überhöhten Kosten der Hilfspakete. Daher haben die meisten Banken noch immer nicht zugegriffen. Was die Kreditbremse noch mehr verstärkt. Die Banken können allerdings auf die Dauer nur etwas verdienen, wenn sie wieder Kredite vergeben.