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Künstler als Neurowissenschafter: Was Gemälde über Wahrnehmung verraten.
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Wien. Egal, ob er in Rot, Blau oder Grün dargestellt ist und egal, ob er die Form des Objekts hat, dem er gehört, "der Schatten muss einfach dunkler sein als seine Umgebung, damit er als solcher in einem Gemälde erkannt wird", betont Patrick Cavanagh, Leiter der Vision Sciences Laboratories der Universität Harvard. Im Rahmen der Gombrich Lectures der Forschungsplattform für Cognitive Sciences der Universität Wien verdeutlichte er am Donnerstag, warum Künstler das Gehirn geradezu austricksen.
Wie erkennen wir einen gemalten Spiegel als Spiegel, obwohl er uns nicht reflektiert? Wie eine gemalte Glasoberfläche also solche, obwohl sie im Bild nicht durchsichtig sein kann? Und wie lassen Künstler zweidimensional wie dreidimensional aussehen? Die Antwort liegt in den Vereinfachungen, die die Wahrnehmung vornimmt, um Sachverhalte blitzartig zu identifizieren.
Sehen durch Andeutungen
"Die visuelle Wahrnehmung macht ihre Umgebung mit einem relativ simplen System von Algorithmen in Sekundenbruchteilen aus", so Cavanagh. Diese Fähigkeit geht auf Urzeiten zurück: Wie rasch ein Jäger und Sammler einen Schatten seinem Besitzer zuordnete, konnte über Leben und Tod entscheiden. In diesem Sinn verstehen wir selbst im falschen Winkel gemalte Spiegelbilder als solche, oder erkennen Wasser im Bild, wenn es seine Umgebung vertikal reflektiert.
Unsere Innen-Darstellung der Welt beinhaltet zweidimensionale Repräsentationen, erklärt Cavanagh. Auch gewinnen wir viel Information anhand von Linien, die Konturen, Tiefe oder Raum visualisieren und sogar für Bewegungen oder Geräusche stehen können. Künstler müssen daher nur einen Teilsatz an Regeln für visuelle Repräsentation einhalten und können andere brechen, ohne dass der Betrachter es merkt.
Denn das Sehen benötigt nur einen Anstoß, um das Gesehene mit abgespeicherter Information zu einer Gesamt-Wahrnehmung zu vervollständigen - ähnlich wie wenn Tiere durch Tarnen und Täuschen ihre Fressfeinde abschrecken. "Unser Gehirn ist höchst komplex, aber nicht alles, was wir tun, um die Welt wahrzunehmen, muss deshalb komplex sein. Die Vereinfachungen, die wir nutzen, machen das Gehirn so effizient", sagt Cavanagh.