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Die Politiker Europas erklären öffentlich immer wieder, daß die transatlantische Kooperation für die Sicherheitsarchitektur Europas unverzichtbar sei. Intern wächst jedoch der Unmut und das
Unbehagen über die amerikanische Dominanz und das europäische Vasallentum. Daher ist es verständlich, daß die europäischen Großmächte trotz aller Treueschwüre den Aufbau einer eigenständigen
europäischen Sicherheitsarchitektur in Angriff nehmen wollen, die Europa aus dem Schlepptau der USA befreien soll. Die desaströse NATO-Politik in der Kosovo-Tragödie gab hiefür den letzten Anstoß.
Immer mehr erkennen, daß die USA und die NATO nicht die Lösung, sondern zunehmend zum Problem werden, wenn es darum geht, das Recht des Stärkeren in die Stärke des Rechts umzusetzen. Die NATO bietet
Europa nicht nur Schutz, es stellt sich auch die Frage, wie schützt sich Europa vor der Arroganz der NATO?
Alternativen
Geht man von der realen Situation aus, hat eine europäische Sicherheitspolitik drei Möglichkeiten:
1. Beibehaltung der transatlantischen Kooperation unter USA-Dominanz, wodurch Europa in dramatischer Weise in die offensive Rüstungs- und Militärpolitik der USA sowie deren Weltherrschaftsansprüchen
eingebunden wird.
2. Aufbau einer eigenständigen militärischen europäischen Weltmacht, womit eine enorme Aufrüstungspolitik und eine verschärfte Konkurrenz mit den USA verbunden ist, und
3. Aufbau eines europäischen Sicherheitssystems, das sich auf Verteidigung und Einsätze im Auftrag der UNO (OSZE) beschränkt.
Die Entwicklungen gehen eher in Richtung 1 und 2 als in Richtung einer europäischen Sicherheitspolitik, die friedenspolitisch orientiert ist. Diese müßte bei der gemeinsamen Außenpolitik ansetzen und
nicht bei der Militärpolitik. Dazu wäre ein sicherheitspolitisches Umdenken notwendig, das offenbar immer nur nach größeren Katastrophen eintritt. So kam es nach dem Ersten Weltkrieg zum Völkerbund
und nach dem Zweiten Weltkrieg zur Gründung der UNO. Vielleicht führt die Kosovo-Tragödie zu einer Besinnung der politischen Eliten, obwohl die ersten Reaktionen in die Gegenrichtung weisen.
Die österreichische Außen- und Sicherheitspolitik ist ambivalent, da die politischen Parteien einschließlich der Regierungsparteien in der Frage eines NATO-Beitritts unterschiedliche Positionen
haben. Hiebei neigen ÖVP und FPÖ mehr zur Alternative 1, SPÖ, Liberale und Grüne mehr zu den Alternativen 2 und 3. Die Nationalratswahl könnte im Zusammenhang mit dem Krieg der NATO gegen Jugoslawien
zur Entscheidung über den NATO-Beitritt beitragen, andernfalls sollte der Weg der Volksbefragung oder der Volksabstimmung gegangen werden.
Ein weiterer Streitpunkt ist die Frage, ob die österreichische Neutralität in einem europäischen Sicherheitssystem noch sinnvoll ist und wie diese in der GASP, also der gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik, gehandhabt werden könnte.
Neutralität schützt vor Teilnahme an NATO-Kriegen
Geht man von der Verschmelzung WEU und EU aus, dann liegt die Entscheidung über Krieg und Frieden bei den Organen der EU und den nationalstaatlichen Verfassungsorganen. Gemäß Abs. 1 Art. 17 des
Amsterdamer Vertrages, auf dessen Recht Österreich nicht verzichten wird, haben die dort angeführten Staaten (Staaten mit einer besonderen Sicherheitspolitik) die Möglichkeit eines "Opting Out",
einer konstruktiven Enthaltung, d. h. daß sie in jedem einzelnen Fall entscheiden können, ob sie an sogenannten Kampfeinsätzen, den friedensschaffenden Einsätzen teilnehmen wollen oder nicht. In der
Praxis bedeutet dies, daß sich Österreich auf seine Neutralität berufen kann, wenn die EU Kriege ohne Mandat der UNO führen will. In allen anderen Fällen ist Österreich aufgrund seiner Neutralität am
solidarischen Beistand nicht gehindert. Solidarität ja, aber nicht bei Bruch des Völkerrechts und der UNO Satzung.
Leider ist Europa noch nicht jener friedliche Kontinent, der er 1989 erschien. Der Krieg in Kosovo hat dies allzu deutlich sichtbar gemacht. Auch westliche Demokratien sind nicht davon gefeit, den
Krieg als Mittel der Politik zu betrachten und in eine eskalierende Kriegslogik zu verfallen. Europa wird weder friedlicher noch sicherer sein, wenn die Nationalstaaten aufrüsten und ihr
Verteidigungsbudget erhöhen. Es werden nur neue Konflikte provoziert, die dann gewalttätig ausgetragen werden.
Europa als Friedensmacht
Viel wichtiger wäre es, die inhaltlichen Grundpositionen einer Europäischen Friedensordnung verbindlich festzulegen (Absage an militärische Großmachtrolle, Primat der friedlichen Konfliktlösung,
Völkerrecht, umfassender Menschenrechtsschutz, defensive Verteidigung und eine breiter angelegte Friedensbewahrung) und sich dadurch von den USA zu unterscheiden. Der geistlose Versuch, mit den USA
militärisch in Konkurrenz zu treten, muß scheitern oder führt in ein militarisiertes Europa, von dem wieder Kriege ausgehen. Neutrale (paktfreie) Staaten sind daher nicht überflüssig, sondern
aufgerufen, den Weg in die Militarisierung der Außenpolitik zu bremsen und dieser Entwicklung gegenzusteuern. Mit Hilfe mutiger Regierungen, die sich als Vorreiter einer echten Friedenspolitik und
nicht als Anhängsel der USA oder einer europäischen Großmacht verstehen. Wir brauchen keine NATO als UNO des Westens im Kampf der Weltkulturen, wie dies ein Journalist formuliert hat, sondern ein
Europa, das sich endlich zu einer Friedensmacht entwickeln will, in der auf Gewaltandrohung verzichtet wird. Ein Europa ohne amerikanische Truppen und ohne Atomwaffen. Ein fernes, aber ein
realistisches Ziel im 21. Jahrhundert.
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Dr. Gerald Mader ist Präsident des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung, Stadtschlaining.