In der heftig umkämpften Stadt in der Ostukraine leben noch rund 5.000 Menschen - im Granatenhagel. Eine Reportage.
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Nur wenige Kilometer hinter Bachmut ist alles "normalna". Im Tankstellenshop gibt es Hotdogs, Red Bull und Schokolade. Es gibt genügend Treibstoff. Auf der Etappe ist es also ruhig. Doch wenn man weiterfährt von der letzten Tankstelle vor der Front, ändert sich das Bild. Irgendwann auf der Strecke gibt das Mobilfunksignal auf, und je weiter man fährt, desto mehr verlässt man den Boden der Normalität.
Bachmut ist derzeit einer der Hotspots des Ukraine-Krieges; die russischen Truppen versuchen seit Monaten verbissen, die Stadt zu erobern, Jewgeni Prigoschin, Chef der Söldner-Gruppe Wagner und enger Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin, hat wiederum den Kampf um das Gebiet um Bachmut mit der Schlacht um Stalingrad verglichen.
Doch bislang konnten die ukrainischen Verteidiger zumindest die Westhälfte der durch den Fluss Bachmutowka geteilten Stadt halten. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat vor wenigen Tagen bei einer Pressekonferenz mit dem schwedischen Premier Ulf Kristersson von der "Festung Bachmut" gesprochen. Selenskyjs Botschaft: "Unsere Festung lebt." Doch gleichzeitig räumte der Präsident ein: Die Situation in Bachmut im Osten sei im Moment "die schwierigste" landesweit, neben dem südlich von Bachmut gelegenen Wuhledar. "Schwierig" - das ist stark untertrieben.
Denn es gibt ein Wort, das die Lage in Bachmut treffend beschreibt: Granatenhagel. Es ist ein nervenaufreibendes Knallen, Wummern, Krachen, Zischen und Pfeifen, das die Luft von Bachmut mit Gefechtslärm erfüllt.
Von Kriegsschäden gezeichnet
Die Stadt hatte einst 70.000 Einwohner, jetzt harren noch um die 5.000 Menschen dort aus, davon vielleicht 140 Kinder. So wurde zumindest Pavlo Kyrylenko, Chef der regionalen Militärverwaltung, vor kurzem in Medienberichten zitiert. Doch wer weiß schon genau, wie hoch die Zahlen tatsächlich sind. Was man aber sehr genau sehen kann: Die Stadt ist schwer von den Kriegsschäden gezeichnet. Kaum ein Haus, das nicht durch Granateneinschläge beschädigt wurde, in kaum einem Fenster ist noch Glas. Es gibt nach den Einschlägen ständig Feuer in der Stadt, die niemand mehr löscht; es gibt seit Monaten keinen Strom, kein fließendes Wasser und kein Gas mehr, und es gibt nur mehr ein Team von Leichenbestattern, die ihrer Arbeit nachgehen, wie zuletzt "Der Spiegel" in einer Reportage berichtete.
Die Straßen sind voller Trümmer und Schutt, manche sind durch Panzerigel-Sperren, auf denen Betonblöcke lehnen, unterbrochen. Diese sollen die angreifenden russischen Truppen aufhalten.
Ein Sanitätspanzer kurvt um die Ecke, plötzlich ein lautes Pfeifen und ein ohrenbetäubender Knall. Das Geschoss hat den Panzer nur um Haaresbreite verfehlt. Weiter, aus Sicherheitsgründen immer nah der Mauer entlang. Zwei Passanten spazieren vorbei, der Mann mit schwarzer, die Frau mit roter Winterjacke. Sie gehen ungerührt mitten auf der Straße und wirken trotz des konstanten Gefechtslärms völlig gelassen.
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Wohin? Zu einem der Wärmestuben-Schutzräume der Stadt. Hier sollen die Menschen von Bachmut Schutz finden, hier gibt es eine warme Mahlzeit, Tee, und in einem Ofen brennt Feuer. Doch direkt vor diesem Schutzraum ist schon vor einiger Zeit eine Granate explodiert, und die Einrichtung wurde offenbar aufgegeben. Vor ein paar Wochen konnten sich Menschen hier noch aufwärmen, jetzt ist das Gebäude menschenleer. Also zum nächsten Raum.
Suppe im Behelfsbunker
Um die Ecke geht es weiter. Ein Mann kehrt die Treppe, die zu seiner Wohnung führt. Wieder dieses Pfeifen und einen Sekundenbruchteil später wieder eine Explosion, diesmal näher. Der Mann murmelt etwas, kehrt in aller Ruhe weiter. So als dächte er: Jemand muss doch sauber machen. In den schwer vom Krieg gezeichneten Städten, an den Orten, die unter heftigem Beschuss stehen, sieht man häufig Bewohnerinnen und Bewohner, die vor der Tür ihrer Unterkunft kehren. Ist es ein Reflex, ein die Emotionen in die Hände legen, ein Versuch, dieses Chaos, diese Trümmer aus dem Weg zu räumen? Dient diese Bewegung des Besens etwa zur Beruhigung der Nerven?
Jedenfalls: Es wird Zeit, diesen Stadtbezirk schleunigst zu verlassen.
Der Schutzraum etwas weiter außerhalb des Zentrums im Westen der Stadt ist geöffnet: Es ist warm in diesem Behelfsbunker, durch die Ofenscheibe sieht man die Flammen die Holzscheite hinaufzüngeln. Eine ältere Frau löffelt ihre Suppe aus einem Plastikteller, ein Pensionist lädt sein Mobiltelefon an einer Steckerleiste auf - ein Generator liefert Strom. Im hinteren Teil des Schutzraums läuft Fernsehen auf einem Wandprojektor, eine willkommene Ablenkung vom Kriegsalltag.
Elena steht hinter dem Tresen und gibt Medikamente aus. Sie ist 50 Jahre alt und sagt, sie sei froh, sich hier nützlich machen zu können und nicht einfach herumzusitzen. Die Lage ist in den vergangenen Wochen immer schlechter geworden, berichtet sie: "Wir haben zuletzt nicht einmal mehr frisches Brot bekommen. Man kann zwar aus der Stadt heraus, aber es wird immer schwieriger hineinzukommen." Müde sei sie, sagt Elena: "Aber ich versuche, den Leuten zu helfen, und möchte sie zum Lächeln bringen."
Ob sie nicht Angst habe im konstanten Granaten-Bombardement? "Natürlich bin ich ängstlich, aber ich versuche, es nicht zu zeigen. Abends, nach der Arbeit hier, mache ich Näharbeiten, im Moment arbeite ich an einem Quilt, das beruhigt mich." Sie komme so gegen acht Uhr, da würden schon die ersten nach Medikamenten und Pflegeprodukten fragen. Die Regale sind gut mit Arzneimitteln gefüllt, Freiwillige würden für Nachschub sorgen. Aber es fehle an bestimmten Medikamenten, die chronisch kranke ältere Patienten benötigen. "Am Abend machen wir die Schutzunterkunft zu, und ich mache mich auf den Heimweg", erzählt Elena. Der Weg von ihrer Wohnung hierher und wieder zurück sei der gefährlichste Teil ihres Tages. "Manchmal fliegen mir Granatsplitter um die Ohren, manchmal Projektile", sagt sie trocken. Hat nicht die Regierung erst vor wenigen Tagen zur Evakuierung von Bachmut aufgerufen? "Doch. Es verlassen ja auch jeden Tag Menschen die Stadt und fahren mit den freiwilligen Helfern weg", erklärt sie. "Aber ich bleibe hier. Ich versuche, optimistisch zu sein, und ich hoffe, dass Bachmut ukrainisch bliebt."
"Gut, wenn jemand aufpasst"
Jenseits der Bahngleise, ein wenig den Abhang hinauf, steht eine der vielen seelenlosen Plattenbausiedlungen, wie sie überall im Donbass zu finden sind. Eine Frau, die in einem Keller haust, will nicht mit Journalisten sprechen, aber der 42-jährige Andrij ist dazu bereit. "Ich habe bisher in dieser Siedlung ausgeharrt, aber die Lage wird immer trister", berichtet er. Zuletzt habe es einen Raketenangriff auf die Siedlung gegeben, und auch das nahegelegene Schulgebäude sei getroffen worden.
In den vergangenen Tagen haben die ukrainischen Behörden ihre Bemühungen, die Stadt zu evakuieren, verstärkt - Beobachter deuten das als Zeichen, dass Bachmut möglicherweise aufgegeben werden könnte. Man kommt nur mehr mit Sondergenehmigungen in die Stadt hinein - damit soll sichergestellt werden, dass jene, die die Stadt verlassen haben, nicht wieder zurückkehren. Es sei zu gefährlich, dorthin zu fahren, haben zuletzt auch die Freiwilligen von Hilfsorganisationen gehört - und es gab deshalb keine Genehmigung.
"Denken Sie nicht daran, wegzugehen?", lautet die Frage an Andrij. "Njet." Hier sei seine Wohnung, sein Viertel, sein Heim. "Viele Nachbarn sind schon weg. Meine Kinder habe ich aus der Stadt geschickt und meine Frau. Auch mein Neffe ist längst fort. Aber in diesem Viertel wird viel geplündert und gestohlen, da ist es gut, wenn jemand da ist und aufpasst. Und sollte es noch schlimmer werden, als es jetzt schon ist, dann bin auch ich hier weg."
Mitarbeit: Alex Babenko und Yevgen Titov