Die massiv um 15 Prozent gestiegenen Kirchenaustritte im Jahr 2019 werfen viele Fragen auf.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Der Anstieg der Kirchenaustritte in der eher kleinen Diözese Gurk-Klagenfurt wegen der Causa Alois Schwarz kann den hohen Anstieg in ganz Österreich nicht erklären, und das gerne als Argument genannte Missbrauchsthema gibt es auch in anderen Ländern. Außer Feldkirch hatten alle Diözesen im Jahr 2019 einen mehr als zehnprozentigen Anstieg der Austritte zu verzeichnen. Liegt es viel-leicht an den neuen Seelsorgeräumen und XXL-Pfarren?
Kirchen sind für Menschen Hoffnungsträger. So wurde im Amtsblatt der Bischofskonferenz 1998 die Erkenntnis festgehalten, dass für zwei Drittel "das Motiv für den Austritt der Kirchenbeitrag ist". Da lesen wir hoffnungsvoll: "Mit vielen dieser Katholiken hatten unsere Mitarbeiter in den Pfarren und Kirchenbeitragsstellen zu wenig persönlichen Kontakt. Das möchten wir ändern." Oder ein Pfarrer in einer kleinen Dorfkirche fragt in der Predigt: "Vielleicht haben wir nächstes Jahr 200 neue Priesterseminaristen?" Das klingt nach Hoffnung - oder doch einem Spiel mit der Hoffnung. Was hat sich seit damals geändert? In nur 21 Jahren sind mehr als eine Million Katholiken ausgetreten. Soll man auf Hoffnungsappelle, Jugendwallfahrten nach Rom oder Jerusalem setzen?
Umdenken beim Kirchenbeitrag gefragt
Eine Frage wird tabuisiert: Müssen Bischöfe Geldeintreiber sein, auch wenn diese Aufgabe Kirchenbeitragsstellen übernehmen, die bis zu 60 Millionen Euro im Jahr kosten? Jugendliche stößt es ab, von einem kirchlichen Finanzamt Geldforderungen per Post zu erhalten, wenn vorher niemand für sie da war. Der Austritt befreit viele von einem NS-Zwangsgesetz, das der 1946 hingerichtete Kriegsverbrecher Arthur Seyß-Inquart eingeführt hatte. Dagegen hatten die Bischöfe 1939 noch geschlossen schriftlich protestiert.
Neue Forschungen zur Kirchenfinanzierung in Italien zeigen drei Töpfe zur Steuerwidmung. Jeder Bürger darf bestimmen, ob jährlich 0,8 Prozent seines Steueraufkommens einer anerkannten Religionsgemeinschaft oder nur dem Staat zugutekommen. Aus einem zweiten, getrennten Topf dürfen 0,5 Prozent für Kultur, Soziales und Umwelt gewidmet werden, weitere 0,2 Prozent für politische Parteien im Parlament - insgesamt also 1,5 Prozent.
Ein verrücktes Modell oder ein Vorbild? Vom Staat wird keine eigene Steuer einbehalten, die Finanzierung der Kirchen ist im Steuertopf schon enthalten. Der Staat überträgt aber dem Bürger eine Mitwirkung bei der Steuererklärung. Wer keine Steuern zahlt, darf ebenso widmen. Niemand wird zusätzlich belastet. Es muss auch niemand "seinen Steueranteil spenden", wie ein Bischof behauptet hat. Deshalb entfällt jedes Motiv für den Austritt.
Arbeitsplätze in den Kirchen zu sichern, womit der Kirchenbeitrag verteidigt wurde, wird nur mit Steuerwidmung möglich sein und nicht mit einem NS-Gesetz, das ein Kirchenaustrittsklima schuf, das dafür sorgen könnte, dass der Katholikenanteil in Österreich von heute 56 auf 27 bis 30 Prozent im Jahr 2060 sinkt, wenn Politik und Religionsgemeinschaften vorher nichts unternehmen.