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Wie lassen wir die Pandemie hinter uns?

Von Ulrich Elling

Gastkommentare

Wir müssen einen Punkt erreichen, wo jede(r) von uns gelernt hat, mit dem Coronavirus umzugehen. Es gibt nur zwei Wege in die Immunität: Impfung oder Infektion. Letztere ist die schlechtere Variante.


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Nun wird es wieder Herbst, und wir alle schauen mit Sorge auf das, was da kommen wird. Werden die Schulen offen bleiben? Reicht die Einschränkung für Ungeimpfte oder braucht es schon wieder einen Lockdown? Können wir die Pandemie "einfach durchlaufen lassen" wie in Großbritannien und Dänemark? Wie sollte der Stufenplan der Regierung aussehen, damit er funktioniert? Was uns allen fehlt, sind klare Zielvorgaben, eine Zukunftsvision. Wie lassen wir Corona hinter uns?

Der Weg aus der Pandemie ist der Beginn der sogenannten Endemie, also eines Zustands wie bei Influenza oder Rhinoviren, denen wir alle regelmäßig begegnen. Wir müssen einen Punkt erreichen, wo jede(r) von uns gelernt hat, mit diesem unsichtbaren Feind umzugehen. Wo unser aller Immunsystem dieses Virus kennt. Ab diesem Zeitpunkt brauchen wir uns nicht mehr so viel um Covid-19 zu sorgen. Nicht weil das Virus schwächer wird, sondern weil wir stärker werden. Und es gibt einfach nur zwei Wege in die Immunität: Impfung oder Infektion.

Expertengremien vertrauen

Die Dynamik und die Parameter der Pandemie gehorchen dabei keiner politischen Meinung. Das Virus vermehrt sich streng nach naturwissenschaftlichen Kriterien, und die Methoden der Kontrolle lassen sich gut modellieren. Auch die Frage, ob Impfung oder Infektion für uns risikoärmer sind, kann nicht intuitiv beantwortet werden, schon gar nicht von Laien. Dazu sind die Zusammenhänge zu komplex. Sie bedürfen der Analyse durch Expertengremien. Diesen müssen wir vertrauen.

Ulrich Elling ist Molekularbiologe am Institut für Molekulare Biotechnologie (Imba) und sequenziert im Auftrag der Ages die positiven Covid-Proben in Österreich, um Varianten und Mutationen festzustellen.
© Tkadletz

In unserer arbeitsteiligen Gesellschaft geschieht genau das aber jeden Tag: Wir setzen uns nach der Reparatur in unser Auto, ohne zu kontrollieren, ob die Bremse funktioniert. Wir steigen in den Bus ein, ohne den Führerschein des Fahrers zu prüfen. Und wir kaufen uns am Würstelstand eine Käsekrainer, ohne die Verkäuferin nach dem Ablaufdatum zu fragen. Und bei einer Operation fragen wir auch nicht den Chirurgen nach seinen Zeugnissen, obwohl Operationen wesentlich öfter zu Komplikationen führen als die Impfung.

Der Versuch, politischen oder finanziellen Profit zu generieren, indem man Fakten verdreht, oft wider besseres Wissen Zweifel schürt und populistische Positionen einnimmt, die Impfung schlechtredet, macht also nur eines: Er verlängert diese jetzt schon quälend lange Pandemie, sorgt für noch mehr Tote und Langzeitgeschädigte, schädigt unsere Wirtschaft, und zerstört unsere Gemeinschaft. Gegen die Impfung zu agitieren, bedeutet für die Nachspielzeit der Pandemie zu agitieren und gesundheitliche Konsequenzen etwa bei Parteimitgliedern billigend in Kauf zu nehmen.

Bisher hatten wir in Österreich gut 700.000 bekannte Corona-Infektionen sowie gut 10.000 Tote und noch viel mehr Long-Covid-Patientinnen und -Patienten. Es gibt aber noch mehr als drei Millionen ungeimpfte Personen in Österreich. Diese durch Infektion zu immunisieren, würde die Zahl der Toten mehr als verdoppeln und das Gesundheitssystem über Monate überfordern. Auch wenn Sie für sich persönlich vielleicht überzeugt sind, dass Sie nicht ins Krankenhaus müssten: Sicher weiß man es erst im Nachhinein. Außerdem können Sie andere anstecken, deren Immunsystem weniger stark ist. Insgesamt führen viele Infektionen doch zu vielen schweren Erkrankungen, daher ist es weder wirtschaftlich noch gesundheitspolitisch und schon gar nicht ethisch tolerabel, ein derartiges Szenario zu akzeptieren.

Impfziele verfehlt

Die Immunisierung auf natürlichem Weg zu erlauben, würde weitere massive Einschnitte in unsere Freiheiten bedeuten, denn wir müssten diese Welle über viele Monate strecken, um sie irgendwie zu bewältigen. Infolgedessen entstünden wieder unvorstellbare Kosten für unsere Staatskassen, Menschen würden arbeitslos, Pleitewellen drohen. Die Infektion kann also für Österreich nicht der Weg aus der Pandemie sein.

Auch in Großbritannien, wo man von 95 Prozent Immunität in der Bevölkerung ausgeht, steigt die momentane Inzidenzwelle unvermindert an. Dabei haben die Schulen dort gerade erst wieder geöffnet, und die Erkältungssaison hat noch nicht einmal begonnen. Nicht einmal dort, wo nur bei einer von 20 Personen das Immunsystem Sars-CoV-2 nicht kennt, klappt es also derzeit, die Pandemie für beendet zu erklären und in eine endemische Phase überzugehen. Dänemark geht nun einen ähnlichen Weg, und es bleibt zu hoffen, dass dieser gelingt.

In Österreich dagegen gehen wir eher von 70 Prozent Immunität durch Impfung oder Infektion aus. Wir sind sehr weit davon entfernt, die Zügel locker lassen zu können. Wir haben diesen Sommer unsere Impfziele verfehlt, obwohl der Trend sehr lange absehbar war und alle Experten gewarnt haben. Nun kommt die Erkältungssaison mit großen Schritten, und im heurigen Jahr werden wir es nicht mehr in die Endemie schaffen.

Wie können wir nun also reagieren, um jetzt durch den Winter zu kommen? Unser Stufenplan muss zwei Ziele verfolgen. Erstens: Die Impfquote drastisch steigern - die Virologin Dorothee von Laer spricht von einer Million Menschen. Vielleicht braucht es sogar höhere Zahlen und zusätzlich den dritten Stich. In Israel werden derzeit Infektionen bei Ungeimpften und Zweifach-Geimpften beobachtet, bei Dreifach-Geimpften aber praktisch gar nicht. Das sind gute Neuigkeiten, denn Impfstoff haben wir genug. Um den Winter aber noch zu retten, müssten diese Menschen innerhalb des nächsten Monats geimpft werden, denn vollständige Immunität ist frühestens zwei Monate nach dem ersten Stich erreicht. Verfehlt der Stufenplan dieses Ziel, so ist er unzureichend. Bessere Werbekampagnen werden das aber alleine nicht schaffen.

FFP2-Pflicht ausweiten

Zweitens brauchen wir Regeln, die die Infektionsketten unter Ungeimpften, denen Hospitalisierung oder Schlimmeres droht, wirksam einbremsen. Die Regierung macht die Maßnahmen an der Belegung der Intensivstationen fest. Das ist gefährlich, denn dieser Wert hinkt den Inzidenzen um Wochen hinterher, außerdem sollen die Maßnahmen immer erst eine Woche später greifen. Besonders besorgniserregend ist jedoch, dass dieses Maßnahmenpaket nach Meinung praktisch aller Experten deutlich zu wenig Wirkung zeigen wird. Derzeit sind in Stufe zwei und drei vor allem strengere Tests im 3G-Bereich vorgesehen. Das wird nicht ausreichen, um die Kurve zu drehen. Denn viel zu viele Ansteckungen geschehen anderswo, etwa im Privatbereich und am Arbeitsplatz.

Der Stufenplan ist nicht beliebig erweiterbar wie neue Dunkelrottöne bei der Corona-Ampel. Die Intensivbetten-Kapazität ist endlich. Wir brauchen also viel effektivere Maßnahmen, um Ungeimpfte vor der Ansteckung zu schützen. Ich plädiere für eine FFP2-Maskenpflicht für Ungeimpfte in allen geschlossenen Räumen außerhalb des Privaten, auch am Arbeitsplatz. Weiters muss Ungeimpften der Zugang zu Großveranstaltungen ab Stufe zwei verwehrt bleiben, denn getestet oder nicht ist die Gefahr, dass sie sich bei hohen Inzidenzwerten anstecken, schlichtweg zu groß.

Wenn wir nun einen Stufenplan aufsetzen, der diese Ziele verfehlt, dann laufen wir direkt in den nächsten Lockdown - dann auch für immunisierte Personen. Und dieser Lockdown wird kommen im Sinne eines Naturgesetzes, nicht als politische Agenda. Das wird gesellschaftlich zu enormen Spannungen führen. Wollen wir diese verhindern, müssen wir nun viel mutiger re(a)gieren!

Ich appelliere also an alle von uns: Treffen wir Vorkehrungen, bevor es zu spät ist. Bessern wir den Stufenplan jetzt nach, nicht erst nach der Oberösterreich-Wahl. Und arbeiten wir vor allem gemeinsam daran, die Impfquote zu verbessern, denn vor allem das rettet Menschenleben. Wir alle kennen Menschen, die noch nicht geimpft sind. Suchen wir das Gespräch.