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Wie man integrieren soll

Von Peter K. Wagner

Politik

Ein Projekt in Trofaiach schickt sich an, den gordischen Knoten der Integration zu lösen. Und könnte zur Modellregion für ganz Österreich werden.


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Als Trofaiach, Hafning und Gai 2012 zu Trofaiach verschmelzten, sprach man in der Steiermark von einer Modellregion. Es war die erste Gemeindefusion, die als erfolgreicher Testlauf zu einer der wenigen grundlegenden Reformen einer rot-schwarzen Koalition in Österreich der vergangenen Jahre führte. Nun ist die Gemeinde Trofaiach erneut auf bestem Weg, zur Modellregion zu werden.

Denn während in weiten Teilen des Landes NGOs und ehrenamtliche Helfer die Mühe der Integration auf sich nehmen und auf Förderungen der öffentlichen Hand hoffen, wird in der Hochsteiermark seit über eineinhalb Jahren gezeigt, wie einfach Integration eigentlich sein könnte. Und das ist vor allem einem Mann zu verdanken: Josef Missethon, ehemaliger Unternehmensberater und Psychotherapeut - und Initiator des im Herbst 2015 gestarteten Projekts "Talente für Österreich".

Die Einrichtung erinnert an ein Internat. Das Zentrum, in dem der Unterricht stattfindet und das Essen zubereitet wird, befindet sich im sogenannten Stockschloss etwas außerhalb von Trofaiach. Vor langer Zeit war dieser Ort ein Ruhe- und Erholungsort für Bergarbeiter, später als Hauswirtschaftsschule samt Internat im Einsatz. Und zuletzt fanden ab und zu Veranstaltungen statt.

Heute ist es Mittelpunkt für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien, Irak und dem Sudan, die der Einrichtung vom Land Steiermark zugewiesen werden. In zwei Klassen werden 75 Jugendliche unterrichtet. Das Etappenziel: alle drei Monate ein Sprachzertifikat. Der mittelfristige Grund ihrer Besuche, fünfmal die Woche, für jeweils vier Stunden: eine Arbeit finden und so in der österreichischen Gesellschaft ankommen.

Die Art und Weise, wie hier versucht wird, jungen Menschen ohne Perspektive eine Zukunft zu geben, ist naheliegend - und gewissermaßen die Vorwegnahme des Integrationsjahres der Bundesregierung, das im Herbst starten soll. Die Projektteilnehmer erhalten ein Rundumpaket von der sprachlichen Ausbildung über Werte- oder Alltagskurse bis hin zu Berufsvorbereitung und Freizeitgestaltung. Vom Fußballteam bis zum Volleyballtraining sowie auch der Teilnahme an Feuerwehraktivitäten.

Pragmatischer Ansatz

Aber ist es wirklich so einfach? Mitnichten. Natürlich kommt es zum Clash der Kulturen. "Wir versuchen den Burschen unsere Werte zu kommunizieren, aber auch von ihnen zu lernen", erklärt Missethon. Saheb Rafyi, ein Montanist, der zum Studieren in die Gegend zog, kommt dabei als gebürtigem Iraner eine besondere Rolle zu. Er war es, der seit Projektbeginn Sprach- und Kulturbarrieren zwischen den Integrationsförderern und den Integrationswilligen ausglich. Als Dolmetscher und Vermittler. Heute ist er Leiter des Facility Managements.

Potenzielle Probleme geht man pragmatisch an. Als man die Jugendlichen im Vorjahr mit Freikarten für das öffentliche Bad ausstattete, erhielten sie nicht nur Schwimmunterricht, sondern man sprach auch das heikle Thema Sexualität in einer für viele ungewohnt freizügigen Umgebung an. Wenn die Bedienung einer Waschmaschine erklärt wird und sich einige weigern, "weil ja eh die Schwestern zuhause die Wäsche waschen", gibt man die Antwort, die auf der Hand liegt: "Deine Schwestern sind nicht in Österreich."

Im Klassenraum steht heute Vormittag das Verfassen eines Bewerbungsschreibens auf dem Programm. Lehrerin und Sprachschulleiterin Julia Hödl fragt in die Runde: "Was wollt ihr denn eigentlich einmal werden?" "Lehrer", sagt Omid. "Automechaniker", sein Sitznachbar. Auch potenzielle Näher und Ärzte sind unter den Schülern.

Josef Missethon lächelt zufrieden, als er die Burschen träumen hört. Und er lacht auch ein bisschen auf, wenn man ihn nach der Initialzündung für seine Idee anspricht. Alles begann mit seinem Bruder - Hannes Missethon.

Viel reden, nichts tun

Der ehemalige ÖVP-Politiker und kurzzeitige Generalsekretär der Volkspartei organisiert mittlerweile unter anderem Vorträge von Friedensnobelpreisträgern, darunter etwa Leymah Gbowee. Die Bürgerrechtlerin und Politikerin aus Liberia war im Sommer 2014 in ebenjenem Stockschloss zu Gast, in dem heute junge Flüchtlinge an ihrer Zukunft arbeiten. Sie sagte dabei einen Satz, der Josef Missethon und einem anderen Herren im Publikum nicht mehr aus dem Kopf ging: "Die Europäer reden viel, aber es wird nichts getan." Der andere Herr war der Trofaiacher Bürgermeister Mario Abl. Er wollte für die damals schon omnipräsenten Flüchtlinge in Österreich etwas tun - und bald lebte im Stockschloss in Trofaiach eine syrische Familie.

Aber das war nur der Anfang. Das Konzept "Talente für Österreich" entstand - und wurde Integrationslanderätin Doris Kampus vorgestellt. Die war schnell überzeugt. Anstatt unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nur unterzubringen, wollte man hier nämlich versuchen, ein Rundumpaket zur Integration anzubieten. Mithilfe von mehreren Partnern. Für die Grundversorgung kommt das Land Steiermark auf. Der Schulunterricht wird im Rahmen eines Landesprojektes für schulpflichtige Migranten finanziert, die Berufsvorbereitung in Niklasdorf wird etwa von der Bauinnung übernommen. Und ein Projekt mit der regionalen Wirtschaft ergänzt das Integrationsmodell ebenso wie Mittel von Bund und EU. Denn ja, natürlich ist Trofaiach, die alte Eisen- und Stahlproduktionshochburg, ein Ort, an dem viele Institutionen Interesse zeigen, für Zuzug zu sorgen.

Das Erfolgsgeheimnis von "Talente für Österreich" ist aber nicht nur eine Region mit einer örtlichen Wirtschaft, die mit Abwanderung und fehlenden Lehrlingen zu kämpfen hat. "Ein derartiges Projekt kann auch in einer Stadt funktionieren, aber im ländlichen Raum hat es größere Chancen", glaubt Missethon. Er gibt ein Beispiel: "Wir haben hunderte Erziehungsberechtigte. Wenn das Licht bis drei Uhr in der Früh brennt, weiß es der Bürgermeister gleich am nächsten Morgen."

Jugendliche werden jobfit

Bisher erhielten acht Projektteilnehmer eine Lehrstelle, sieben Burschen haben eine Zusage für eine Lehrstelle, warten aber noch auf den Asylbescheid. Außerdem sind fünf Jugendliche als Fachkräfte in der Region im Einsatz. "Insgesamt gibt es dank des Projekts also mittlerweile 20 Mindestsicherungsbezieher weniger", sagt Missethon. Und erklärt: "Das ist eigentlich der Kern unseres Modells. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge erhalten in Österreich keine Mindestsicherung, die Jugendlichen sollen bereits im Asylverfahren auf das Berufsleben vorbereitet werden, damit sie gar nie in die Mindestsicherung fallen. Das spart pro Person etwa 10.000 Euro im Jahr." Doch auch wenn das Konzept nur vorsieht, Minderjährige jobfit zu machen, werden jene, die zu alt für das Projekt werden, nicht ausgeschlossen. Wer nicht rechtzeitig im Berufsleben ankommt, wird in einer neuen Unterkunft mit eigenen Betreuern untergebracht.

Dass in Trofaiach erfolgreich integriert wird, hat sich mittlerweile schon herumgesprochen. "Wir sind gerade in Gesprächen mit einem anderen Bundesland, wo unser Konzept auf sehr großes Interesse stößt", sagt Missethon. Der Modellregion Trofaiach eilt eben langsam ihr Ruf voraus.