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Wie neu wird Deutschlands Wirtschaftskurs?

Von Hermann Sileitsch

Analysen

Der Neue wurde nicht allzu freundlich empfangen: Deutsche Medien qualifizierten Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) als "Anfänger" oder "Leichtgewicht mit Tendenz zum Totalausfall" ab. Ein hartes Urteil für einen studierten Volkswirt, der elf Jahre lang Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz war.


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Brüderle hat einen schweren Stand: Er tritt das Erbe des Jeansträgers Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) an, der binnen kurzer Zeit zum Shootingstar avanciert ist. Im Vergleich zum jugendlichen Baron, der im Verteidigungsressort untergekommen ist, vermittelt der 64-jährige Brüderle eher großväterliche Betulichkeit - trotz eines Hanges zu lockeren Sprüchen. Für Brüderle wird es schwer, sich mit liberalen Ansagen zu profilieren. Auch hierbei hatte sich Guttenberg hervorgetan: Er hatte darauf beharrt, dass auch eine Opel-Insolvenz möglich sein müsse. Dass er mit seiner Forderung glorreich scheiterte, wurde ihm erstaunlicherweise nicht übel genommen.

Wird Deutschland nun einen neuen, liberalen Wirtschaftskurs einschlagen? Schließlich hatte sich Kanzlerin Angela Merkel schon im Wahlkampf auf eine konservativ-liberale Koalition festgelegt. Die Freidemokraten, die nach elf Jahren in eine Regierung zurückkehren, würden vieles ermöglichen, was die Sozialdemokraten verhindert hätten.

Schon nach wenigen Tagen ist jedoch klar: Marktpolitisches Hardlinertum ist in Krisenzeiten nicht durchsetzbar. Schwarz-Rot war auf die "Schuldenbremse" getreten. Schwarz-Gelb fixierte diese langfristige Begrenzung des Haushaltsdefizits zwar im Koalitionsvertrag, versuchte aber gleich als Erstes, sich mit einem Schattenhaushalt daran vorbeizuschwindeln.

Nun pocht Wirtschaftsminister Brüderle darauf, die vereinbarten Steuerentlastungen von 24 Milliarden Euro rasch umzusetzen. Höherer Kinderfreibetrag, Erleichterungen bei der Erbschaftssteuer, mehr Abschreibmöglichkeiten für Betriebe: Die SPD rechnet genüsslich vor, dass die von Union und FDP angekündigten Pläne von 2010 bis 2013 ein weiteres Loch von insgesamt 76,2 Milliarden Euro in die Bundeskasse reißen würden. Verkehrte Welt: Die Sozialdemokraten sparen, die Liberalen machen Schulden. Hat just Angela Merkel, die sich länger als alle anderen Regierungschefs gegen staatliche Konjunkturpakete gewehrt hatte, nun alle Vorsicht über Bord geworfen?

Die Koalitionäre wandern auf einem schmalen Grat: Sie vertrauen darauf, dass die Konjunktur rasch anzieht - eine riskante Wette auf Wachstum. Schon jetzt glaubt die Mehrheit der Deutschen nicht mehr daran, dass die versprochenen Steuersenkungen kommen.

Ähnlich ambivalent ist das Bild beim Bankensektor: Einerseits möchte Brüderle, dass sich der Staat so rasch wie möglich von seinen Beteiligungen an Krisenbanken zurückzieht. Im selben Atemzug droht er, dass die staatliche Förderbank KfW den privaten Geschäftsbanken Konkurrenz machen könnte: Wenn sich die Kreditklemme verschärfe, werde die KfW, die sich zur Mittelstandsbank entwickeln soll, Kredite direkt vergeben. Österreichs Förderbank AWS hat solche Plane vor wenigen Wochen verworfen.

Im Koalitionsvertrag steht eine schwammige Ankündigung, wonach bei der Unternehmenssteuer schon 2010 "Wachstumshemmnisse" beseitigt werden sollen. Ein unternehmensfreundlicher Kurs hätte auch Folgen für Österreich: Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl erwartet härtere Konkurrenz im Kampf um Betriebsansiedlungen. Alles in allem dürfte sich Deutschlands Wirtschaftskurs nur in Nuancen verändern: Statt der Ideologie regiert auch bei Schwarz-Gelb krisenbedingt der Pragmatismus.