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Wie Pharmafirmen Stimmung machen

Von Heiner Boberski

Wissen

Hausärzteverband kritisiert ökonomisch dominierte Medizin. | Wien. Ärzte und Patienten sollten die Entwicklungen im Gesundheitssystem kritischer hinterfragen, denn diese beruhten oft auf Studien, die eine auf Gewinn ausgerichtete Pharmaindustrie gesponsert hat. So lautete die Botschaft einer Veranstaltung des Österreichischen Hausärzteverbandes mit dem Titel "Medizinische Erkenntnisse - erforscht oder erkauft?" am Dienstagabend in Wien.


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Am Beispiel der Schweinegrippe-Impfung, eines Mittels gegen Rheumatoide Arthritis und diverser Onkologika (Krebsmedikamente) zeigte die Expertin Claudia Wild, Direktorin des Ludwig Boltzmann Institutes für Health Technology Assessment, dubiose Praktiken Gesundheitsmarkt auf. Die Pharmaindustrie produziere immer weniger wirklich innovative Produkte, während gleichzeitig viele alte Patente auslaufen, darum würden zum Beispiel große Anstrengungen unternommen, um Generika zu desavouieren.

Scheinbar unabhängig

"Während die klassischen Pharmareferenten immer weniger werden, investiert die Industrie in Lobbying und Awareness-Strategien über die Medien", erklärte Wild. So würden von Pharmafirmen unter verschiedenen Namen, die wissenschaftliche Unabhängigkeit suggerieren (wie etwa "The European Scientific Working group on Influenza" - ESWI), Initiativen gestartet, die mit Workshops und Konferenzen sowie darauf folgenden Publikationen Stimmung bei Medien und Politik dafür machen, dass man bestimmte Krankheiten dringend mit bestimmten Methoden bekämpfen müsse, etwa die drohende Schweinegrippe durch eine entsprechende Impfung.

Wild ortet Systemmängel: "Wenn jene, die Impfstoffe entwickeln, auch die Forschung über deren Wirksamkeit finanzieren und gar noch in den Gremien über deren Einsatz entscheiden, entsteht ein unakzeptabler Interessenkonflikt."

Sorge wegen Leitlinien

Die Hausärzte warnen vor einer ökonomisch motivierten "Integrierten Versorgung" mit standardisierten Diagnosestraßen und Therapien, dies gehe zu Lasten des individuellen Bemühens um den Patienten. Der Chef des Hausärzteverbandes, Christian Euler, und seine Kollegen lehnen strenge Leitlinien ab: "Rahmenbedingungen können so eng werden, dass im Rahmen kein Platz mehr ist." Susanne Rabady von der Österreichischen Gesellschaft für Allgemeinmedizin sprach sich für Leitlinien und Standards aus, doch dürften daraus nicht "starre Schemata" werden.

Michael Wendler, Leiter einer Lehrpraxis in Graz, will zurück zu einer Medizin, die den Patienten als Partner und nicht als Objekt sieht. Der Ärztenachwuchs gehöre zu mehr Kritikfähigkeit ausgebildet. Er müsse oft Gespräche mit Patienten führen, die ihr medizinisches Wissen aus dem Internet beziehen, sagte Wendler. Er empfehle dann meist: "Erst gurgeln, dann googeln."