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Wie politische Eifersüchteleien die Pflegereform behindern

Von Karl Ettinger

Politik

Pilotprojekte sind eingeschlafen. Jetzt schlägt die ÖVP "Fachkräfte für Nachbarschaftshilfe" vor.


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Pilotprojekte bei der Pflege hat der Direktor des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung in Wien, Kai Leichsenring, schon etliche miterlebt. Bei der Umsetzung haperte es dann. Nicht, weil sich Modelle in der Praxis nicht als sinnvoll erwiesen hätten, sondern weil die Pflege im Kompetenzkonfliktfeld zwischen den Bundesländern, Gemeinden und dem Bund und zwischen den Parteien beheimatet ist und es politische Eifersüchteleien gibt.

Die sogenannten Community Nurses, für die von der türkis-grünen Koalition als Netzwerke in den Gemeinden vor dem Sommer die Weichen gestellt worden sind, wurden bereits 1993 in Niederösterreich in drei Gesundheits- und Sozialsprengeln erprobt. Danach sind sie allerdings wieder "verschwunden". Schuld daran war laut Leichsenring der Umstand, dass in Niederösterreich, wo noch immer das Proporzsystem in der Landesregierung gilt, die SPÖ für die Sozialpolitik zuständig war und die ÖVP für die Gesundheitspolitik. "Diese Pilotprojekte haben durchaus Erfolge gezeigt, aber politisch gab es keinen Willen, dass es funktionieren darf", beklagte der Experte am Montag.

Versprechen der Regierung für den heurigen Herbst

Bei Wolfgang Mückstein (Grüne) sind in der türkis-grünen Bundesregierung immerhin die Gesundheits- und Sozialagenden in einem Ministerium vereint. Allerdings hat bei der nun für den heurigen Herbst versprochenen Pflegereform der größere Regierungspartner ÖVP eine entscheidende Rolle, ebenso die großteils von der SPÖ gestellten Soziallandesräte. Nach dem Aufschub der Pflegereform wegen der Corona-Pandemie um eineinhalb Jahre ist die Bundesregierung nun unter Zugzwang, endlich Reformvorhaben einzuleiten. Zuletzt haben die SPÖ-Landesräte, angeführt von Oberösterreichs Landesrätin Birgit Gerstorfer und Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker, deswegen den Druck auf die türkis-grüne Koalition im Bund verstärkt.

Trotz des Einschlafens so mancher Pilotprojekte lässt sich Leichsenring die Zuversicht aber nicht nehmen: "Ich gebe seit 30 Jahren die Hoffnung nicht auf, dass irgendwas passiert."

Irgendwas sollte es nach seiner Ansicht im Herbst jedoch nicht sein. Der Sozialexperte drängt vor allem auf eine bessere Vernetzung der Langzeitpflege mit dem fein verästelten Gesundheits- und Sozialwesen in Österreich. Nach dem Beispiel Dänemarks sollte etwa bei Entlassungen aus dem Krankenhaus bei Menschen, bei denen ein Pflegebedarf gegeben ist, sofort angesetzt werden. Mit intensivem Training in den ersten Wochen müsse ein Drittel der Betroffenen keine Pflegeleistungen mehr zukaufen, erläutert er. Das seien Ansätze für eine bessere Integration der Pflege.

Vorbild könnten freilich auch die Niederlande sein, wo auf kleine Teams in der Nachbarschaft für zu betreuende Menschen gesetzt wird. In Österreich beklagen hingegen Praktiker aus Pflegeorganisationen, dass nicht einmal klar sei, welche Aufgaben die Community Nurses in den Gemeinden tatsächlich übernehmen.

Einigkeit besteht in der Bundesregierung, dass pflegende Angehörige besser unterstützt werden sollen, um die rund 460.000 Bezieher von Pflegegeld daheim zu betreuen. Dann ist mit der Gemeinsamkeit aber teils schon Schluss. Das gilt etwa für den Pflegebonus, den die ÖVP am Samstag bei ihrem Bundesparteitag in Linz im Leitantrag erneut festgeschrieben hat. 1.500 Euro Bonus schweben der ÖVP und ihrem Verhandler bei der Pflegereform, Klubbobmann und Sozialsprecher August Wöginger, vor.

Fachkraft auch für Betreuung bei moderner Technik

Weil bis 2030 bis zu 75.000 Pflegekräfte fehlen, strebt die ÖVP auch andere Wege an. In ihrem Leitantrag am Parteitag schlägt sie die Schaffung einer "Fachkraft für Nachbarschaftshilfe" vor, um die wachsende Zahl an älteren Menschen besser zu unterstützen. Die Überlegung dahinter ist, dass oft schon Hilfe beim Einkaufen reicht, damit ein Betroffener daheim leben kann. Diese Fachkraft soll nach dem Plan der ÖVP ältere Menschen auch bei der Nutzung der modernen Technik und des digitalen Fortschritts zur Seite stehen. Es geht also anders als bei der 24-Stunden-Betreuung daheim, die hauptsächlich von weiblichem Personal aus Osteuropa erledigt wird, nicht in erster Linie um Pflegetätigkeiten.

Die SPÖ ist dafür, die Pflege aus dem Budget mit Vermögens- und Erbschaftssteuern zu finanzieren. Für Leichsenring ist die Finanzierungsfrage nicht im Vordergrund. Zuerst müsse die künftige Vernetzung in das Sozial- und Gesundheitssystem geklärt werden, damit klar sei, welche Kosten zu erwarten sind. Derzeit sei es so: "Jeder macht das Beste, aber insgesamt kommt nicht das Beste heraus."