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Wie problematisch ist B.1.1.7?

Von Cathren Landsgesell

Wissen
Auf der Suche nach neuen Varianten von Sars-CoV-2: Freiwillige verteilen im Februar 2021 Corona-Tests zum Selbsttesten in Bramley im Westen von London.
© reuters / Adrian Dennis

Erstmals liegt eine Studie vor, die die Mortalitätsraten der Linie mit anderen vergleicht.


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Sie kommt aus dem Südosten Englands und ist in Europa unter ihrer Abkürzung B.1.1.7 bekannt. In Großbritannien wird sie mitunter "Kent Variante" genannt, weil sie dort mutmaßlich zum ersten Mal auftrat. Unter Wissenschaftern heißt sie auch VOC-202012/1. Es ist eine Variant of Concern (VOC), eine Problemvariante wie jene aus Brasilien: Es wird vermutet, dass diese Variante gefährlicher ist, weil sie leichter übertragbar ist, Menschen reinfizieren kann, die schon einmal erkrankt waren und weil sie häufiger zu schweren Verläufen beiträgt. Das hatten eine Reihe von Studien in Großbritannien bereits gezeigt, darunter zuletzt eine Metastudie.

Eine gemeinsame Forschungsgruppe der Universitäten Exeter und Bristol hat nun erstmals die Mortalitätsraten von B.1.1.7 mit jenen Linien von Sars-CoV-2 verglichen, die zuvor in Großbritannien im Umlauf waren: Sie kommen zu dem Ergebnis, dass B.1.1.7 tatsächlich gefährlicher ist als andere Linien: Das Risiko, an einer Infektion zu sterben, ist bei B.1.1.7 um 64 Prozent höher als bei anderen Varianten des neuen Coronavirus.

Höhere Sterblichkeit

Was genau diese Variante so gefährlich macht, ist noch nicht untersucht. Es gibt Mutationen, die dafür sorgen, dass das Spike-Protein leichter an verschiedene Rezeptoren bindet, darunter der ACE2-Rezeptor. Die leichtere Anbindung sorgt dafür, dass sich das Virus schneller vermehren kann. Und tatsächlich wurden in dieser Studie in den Abstrichen von Patienten mit B.1.1.7 mehr Viren gefunden. Die Viruslast war höher als bei den anderen Patienten, schreibt Rob Challen von der Universität Essex und Leiter der Studie im E-Mail: "Wir wissen noch nicht, warum B.1.1.7 tödlicher ist. Dazu müssen wir den klinischen Verlauf bei den betroffenen Patienten untersuchen."

Die Studie analysierte 109.812 Proben - jeweils die Hälfte, 54.609, stammte von der Kent-Variante bzw. den anderen Linien des Coronavirus. Die beiden Gruppen unterschieden sich ausschließlich in dieser Hinsicht, tatsächlich nur die Effekte der Virus-Variante studieren zu können. Von der Gruppe der mit B.1.1.7 infizierten Menschen starben 227, von der anderen Gruppe 141 innerhalb von 28 Tagen. Die Letalität ist höher, aber immer noch relativ gering. Die Autoren der Studie weisen aber dennoch darauf hin, dass B.1.1.7 beobachtet werden muss: Es zeigte sich nämlich, dass nicht nur Risikogruppen von der erhöhten Sterblichkeit betroffen waren.

Für die Durchsetzung von B.1.1.7 gegenüber anderen Linien des Virus und den "Erfolg" von Sars-CoV-2 spielt die erhöhte Sterblichkeit keine Rolle. Eine höhere Letalität und eine leichte Übertragbarkeit können auch gemeinsam auftreten, die Kombination ist nicht ungewöhnlich, wie Challen im E-Mail erläutert: "Das muss nicht zusammenhängen. Solange ein Wirt nur genug am Leben bleibt, dass das Virus weitere Menschen, neue Wirte, infizieren kann, verringert das nicht seine Chancen, sich weiter in einer Population zu verbreiten."

Dominante Form

Manche Varianten von Sars-CoV-2 sind auch in der Lage, Menschen zu reinfizieren, die schon einmal an Covid-19 erkrankt waren und deshalb Antikörper gebildet haben. Dazu gehören zum Beispiel die südafrikanische und die brasilianische Form. Ob das neue Coronavirus daher jemals eine kritische Grenze erreicht und damit unter Druck gerät, weniger tödlich zu sein, ist nur schwer herauszufinden: "Wir konnten die Effekte von B.1.1.7 nur deswegen studieren, weil alte und neue Varianten noch Seite an Seite vorhanden waren. Sobald die Verbreitung passiert ist, wird es sehr schwer sein, die Effekte der neuen Variante von anderen Effekten zu unterscheiden, zum Beispiel von der Wirkung von Impfungen, von Masken, von Lockdowns usw.", so Challen. Die britische Variante wurde im Herbst 2020 durch Routine-Testungen gefunden und sequenziert. Auf diese Weise war der Vergleich erstmals überhaupt möglich.

Für die Intensivmedizin, so befürchten die Wissenschafter, könnte die Kent-Variante eine Herausforderung werden, weil sie sich eben besonders schnell verbreitet. Auch ist noch nicht gänzlich geklärt, wie gut die Impfstoffe tatsächlich gegen die einzelnen Varianten wirken und ob die Impfungen das Virus noch weiter unter Selektionsdruck bringen könnten, sodass resistente Formen von Sars-CoV-2 entstehen.