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Offener Brief zweier Maturantinnen zur Zentralmatura.
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Sehr geehrter Herr Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen!
Sehr geehrter Herr Bildungsminister Dr. Heinz Faßmann!
Sehr geehrte Verantwortliche, Fachkundige und Veränderungsinitiatoren!
Alle Jahre wieder: Kritik an der Zentralmatura. Wie erklärt man das schlechte Abschneiden österreichischer Schüler bei der Pisa-Studie? Was tun mit tausenden Schulschwänzern? Warum fühlen sich Maturanten mit den Anforderungen von Universitäten überfordert?
Als Maturantinnen wollen wir nun nach zwölf Schuljahren direkt vom Ort des Geschehens berichten. Den Anstoß dazu gab unsere Klasse: Denn sie war sich einig. Und das ist eine Seltenheit! Angefangen vom Klassenfoto bis hin zu Ausflugszielen schien ein konstruktiver Meinungsaustausch unmöglich. Doch als wir im Deutschunterricht das Thema Bildung durchnahmen, brachte sich jeder, wirklich jeder Schüler ein, unterbreitete Vorschläge und gab der Dringlichkeit dieses Themas seine Stimme. Und genau das wollen wir hiermit auch tun.

Gute Lehrer prägen fürs Leben. Und das sollten sie auch. Unterrichten ist mehr als reines Abtesten. Um Wissen zu vermitteln, muss ein Lehrer die Schüler dort abholen, wo sie stehen, und sie durch den Schulalltag begleiten. Doch auch das muss gelernt sein. Und gerade junge Lehrer werden diesbezüglich oft ins kalte Wasser geworfen. Deshalb sollte das Lehramtsstudium einen stärkeren Fokus auf Pädagogik legen, indem theoretische Kenntnisse vermittelt, aber auch vermehrte Praktika an Schulen gefordert werden.
Für ein "Sehr gut" soll man die Aufgabenstellung in einem weit über das Wesentliche hinausgehendem Ausmaß erfüllen und dabei deutliche Eigenständigkeit vorweisen. Wie das bei einem standardisierten Test im Kreuzchenformat funktionieren soll, ist uns ein Rätsel. Wegen dieser unklaren, oft unerreichbaren Notendefinition, orientieren sich Lehrer bei der Notenvergabe am Niveau der jeweiligen Klasse. Das führt nicht nur zu vermehrtem Konkurrenzkampf zwischen Schülern, sondern verfälscht auch ihre wirklichen Leistungen. Statt am Vergleich mit Mitschülern sollte die Notenvergabe sich an einem Ideal, einer verständlichen, erreichbaren, aber doch hoch angesetzten Definition orientieren.
Und auch die Testformate gehören verändert. Denn selbst wenn standardisierte Tests im Kreuzchen- und Einsetzformat das Korrigieren erleichtern, geht durch das Ersetzen offener Antwortformate viel verloren. Nur wenn man einem Schüler die Möglichkeit gibt, seine Gedanken zu einem Thema frei zu formulieren, lernt dieser sich eine eigene Meinung zu bilden, diese verständlich auszudrücken und mit Argumenten zu untermauern. Nur offene Antwortformate lassen Raum für Kreativität, kritisches Denken und deutliche Eigenständigkeit.
Die zwölf Schuljahre vor der Matura nicht außer Acht lassen
Das Maturazeugnis soll als Reifeprüfungszeugnis einen Überblick über das Wissen eines Schülers liefern. Doch wie repräsentativ sind Maturanoten wirklich? Stellt die Benotung einer einzigen Prüfung ein würdiges Abbild der über viele Jahre erbrachten Schulleistungen dar? Oder ist die Zentralmatura vielleicht nur eine weitere Schularbeit, bei der die Tagesverfassung und der Grad der eigenen Nervosität den größten Teil des erreichten Ergebnisses ausmachen?
Ein Beispiel: Ein Schüler, der jedes Jahr mit ausgezeichnetem Erfolg in die nächsthöhere Klasse aufgestiegen ist, mag am Tag der Matura schlimme Kopfschmerzen oder ein Blackout haben. Im Zeugnis finden sich daraufhin nur "genügende" statt "sehr gute" Leistungen. Mögliche Erklärung hierfür: Pech. Oder ist es doch ein Fehler im System?
Um eine solche Situation, enttäuschend und ärgerlich wie sie ist, in Zukunft verhindern zu können, sollten die Maturanoten sich einerseits aus dem Ergebnis der Maturaprüfungen zusammenstellen, andererseits aber auch die Noten der Schüler während ihrer Schullaufbahn berücksichtigen. Denn die Ergebnisse der vergangenen zwölf Schuljahre sollten nicht umsonst gewesen sein. Zählen die Schulnoten fürs Abschlusszeugnis, so ist das ein Ansporn, der Schüler motiviert, gute Leistungen zu erbringen.
Die Zentralmatura ist in der Praxis weder zentral noch fair
Zentralmatura - bereits im Namen liegt ihr Ziel. Als selbsterklärend könnte man dabei die Tatsache nehmen, dass alle Schüler mit gleichen Voraussetzungen ihre standardisierten Prüfungen bewältigen. Doch wenn einige Klassen bei der Deutschmatura am Computer und andere mit der Hand auf Papier schreiben müssen, dann wird deutlich: Hier kann man nicht von zentral, von Vergleichbarkeit und schon gar nicht von Fairness sprechen. Denn in fünf Stunden rund 1000 Worte mit der Hand zu verfassen, umständlich zu editieren, dann nochmals in Reinschrift abschreiben und vor dem Abgeben die genaue Wortanzahl zählen zu müssen, ist ein schwieriges - ja, im wahrsten Sinne des Wortes leidiges - Unterfangen. Am Computer hingegen fällt all das weg.
Unfair sind auch die je nach Schule unterschiedlichen Taschenrechner und Mathematik-Computerprogramme. Auch hier gibt es Unterschiede. Auch hier müssen diese angeglichen werden - oder man gibt unserer Zentralmatura einen neuen, der Realität entsprechenden Namen.
Soll eine Prüfung möglichst vergleichbar sein, so reicht es nicht, einheitliche Aufgabenstellungen zu erstellen. Denn die Korrektur ist mindestens genauso ausschlaggebend: Wer benotet? Der eigene Lehrer, der die Schüler über Jahre unterrichtet hat, ist von ihrem vergangenen Abschneiden und Verhalten voreingenommen. Bestes Beispiel dafür ist die Deutschmatura, bei der das Korrigieren, da es hier - zum Glück - nicht ums Kreuzchensetzen geht, im Ermessen und somit in den persönlichen Erwartungen und Vorlieben des Bewertenden liegt. Um hierbei wenn nicht Objektivität, so zumindest Unvoreingenommenheit garantieren zu können, sollten Arbeiten anonym von unterschiedlichen (vielleicht jeweils zwei) Lehrern korrigiert werden. Denn letztendlich ist das ja das Ziel einer Reifeprüfung: nicht nur möglichst zentral, objektiv und fair zu wirken, sondern es auch tatsächlich zu sein.
Das Bildungssystems darfnicht weiter stagnieren
Im Herbst 2018 soll der erste Teil einer neuen Bildungsreform in Kraft treten. Vielleicht kommen unsere Anregungen zu spät, vielleicht sind sie schwer umsetzbar, doch vielleicht verdeutlichen unsere Reflexionen die Perspektive der mehr als eine Million österreichischen Schüler, welche von der immerwährenden Diskussion zur Bildung letztendlich am meisten betroffen sind. Das jedenfalls hoffen wir.
Denn stagniert unser Bildungssystem weiterhin, während sich alles um uns herum - vom Arbeitsmarkt übers Klima bis hin zu Kommunikationsmitteln - vollkommen verändert, so wird das Konsequenzen haben. Wollen wir ein wettbewerbsfähiges, wohlhabendes Land sein? Wollen wir erfolgreiche, selbstbestimmte Leben führen? Dann muss Veränderung im Schulwesen an erster Stelle stehen! Da ist sich sogar unsere Klasse einig. Und das heißt etwas.
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