Der Kreml profitiert vom Frust über Europa. Auch deshalb sehen viele afrikanische Länder den Ukraine-Krieg anders.
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Plötzlich landeten Hubschrauber der malischen Armee neben dem Viehmarkt in der Kleinstadt Moura. Hunderte Soldaten drangen in die zentralmalische Stadt ein und führten zahlreiche Bewohner ab. Dabei handelte es sich ganz offenbar nicht nur um Soldaten der Streitkräfte von Mali, sondern, wie Augenzeugen gegenüber "Human Rights Watch" berichteten, auch um Kämpfer mit weißer Hautfarbe, die Russisch sprachen.
Die Menschenrechtsorganisation sprach mit 19 Zeugen des Vorfalls sowie internationalen Diplomaten und Sicherheitsanalysten und diese berichten von einem tagelangen Morden. Immer wieder wurden Gefangene abgeführt, vor zuvor ausgehobenen Gruben aufgestellt und mit Kopfschüssen getötet. "Eine Gruppe von Russen zeigte auf meine Brüder und einen anderen Mann. Sie brachten sie ein paar Meter weiter weg und erschossen sie, aus nächster Nähe", berichtete etwa ein Händler.
Insgesamt wurden demnach rund 300 Zivilisten getötet. Der Grund für den Einsatz war eine Anti-Terror-Operation. Moura wurde von einer dschihadistischen Gruppe beherrscht.
Bei den russischen Kämpfern handelte es sich laut internationalen Sicherheitsexperten um Söldner der Truppe Wagner. Das ist eine private Schattenarmee, für die es keine offiziellen Verträge gibt und die doch vielerorts präsent ist. Finanziert wird sie vom Oligarchen Jewgeni Prigoschin, der ein enger Vertrauter von Präsident Wladimir Putin ist.
Korruption und Fassadendemokratie
Gerade Mali ist ein Beispiel dafür, wie Russland in einem afrikanischen Land Fuß fasst. Nach einem Putsch regiert eine Militärregierung das Land. Diese wird vom Westen als auch von der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas abgelehnt. Russland ist aber zur Kooperation bereit.
Was die Lage besonders heikel macht: Auch die EU ist sehr präsent. Seit 2013 führt Frankreich eine Anti-Terror-Operation in Mali und in den umliegenden Ländern durch. Darüber hinaus gibt es eine UN-Friedensmission und die EU-Ausbildungsmission EUTM für die Sicherheitskräfte, an der Österreich mit 85 Soldaten beteiligt ist und die Österreich derzeit sogar leitet.
Allerdings beherrschen Dschihadisten und lokale Milizen - der Übergang ist fließend - den Großteil des Landes. Deshalb sehen viele Malier die Zusammenarbeit mit dem Westen als gescheitert an. Speziell die Ex-Kolonialmacht Frankreich, die hier mit den meisten Soldaten und den größten Einfluss tätig war, steht in der Kritik: Paris hätte eine Fassadendemokratie sowie korrupte Strukturen unterstützt und wäre nicht auf lokale Bedürfnisse eingegangen.
Moskau profitiert nun von dem Frust, der sich über die Europäer breitmacht. Denn Russland ist derzeit der Partner der Wahl.
Der Soziologe Roland Marchal, Professor am renommierten Institut d’études politiques de Paris (Sciences Po), hat aber große Zweifel, dass das gut ausgeht. "Die Strategie der Russen ist es, dass sie die lokale politische Elite in ihre Abhängigkeit bringen", sagt der Experte für die Region, der auf Einladung des Wiener Instituts VIDC und des Bruno-Kreisky-Forums in Wien war.
Am deutlichsten zeigt sich das in der Zentralafrikanischen Republik. Hier stellt Russland die Leibgarde von Präsident Faustin Touadera und Wagner-Söldner verfolgen Oppositionelle und Rebellen. Russland lässt sich seine Dienste bezahlen, indem russische Firmen die Gold- und Diamantminen im Land ausbeuten.
Ein UN-Expertenteam hat schwere Übergriffe der Wagner-Soldaten dokumentiert, darunter "Massenhinrichtungen" oder "Folter bei Verhören". "Menschen verschwinden über Nacht und niemand wird dafür zur Rechenschaft gezogen", berichtet auch Marchal, der immer wieder in die Region reist.
Sorge, was mit Geldern aus Europa passiert
Auch in Mali wird sich kein Täter für das Morden in Moura verantworten müssen. So wie in anderen Ländern weiß niemand genau, wer die Wagner-Soldaten sind, weil es sie offiziell gar nicht gibt, sondern laut Regierung nur russische Ausbildner im Land sind.
Damit stelle sich laut Marchal für Europa und seine Ausbildungsmissionen eine heikle Frage: Nämlich inwieweit noch europäisches Geld in ein Land fließen sollen, das dann eventuell bei Wagner landet? Zumal es Berichte gibt, dass Wagner nun in Afrika auch seinerseits Söldner für den Krieg in der Ukraine rekrutiert.
Wagner ist aber nicht der einzige Hebel, wie Russland in den vergangenen Jahren seinen Einfluss in Afrika wieder massiv verstärkt hat. Der Kreml betreibt auch ganz offiziell Militärkooperationen mit Ländern, etwa mit Algerien und Ägypten. Darüber hinaus ist Russland mittlerweile der größte Waffenlieferant Afrikas.
Zudem hat Russland alte Kontakte aus Sowjetzeiten reaktiviert. Der Kreml profitiert dabei davon, dass viele afrikanische Militärs, Politiker oder auch Vertreter von Befreiungsbewegungen eine große Nähe zur Sowjetunion pflegten. So hat die Sowjetunion den ANC von Nelson Mandela im Kampf gegen das Apartheid-Regime unterstützt oder sie bildete die führenden Kader der Frelimo aus, die in Mosambik gegen die portugiesische Kolonialmacht kämpften. Das schafft bis heute personelle und auch emotionale Nähe.
Auch kann Russland geopolitisch ein attraktives Angebot machen: Es ist bereit, sein Veto im UN-Sicherheitsrat für afrikanische Staaten einzulegen. So blockierte Moskau monatelang die Erneuerung von UN-Expertengruppen, die Waffenembargos in Kriegsgebieten überwachen, etwa im Kongo, in Libyen oder Somalia.
Diese Abhängigkeiten und Verflechtungen waren auch ein Grund, warum sich 25 und somit fast die Hälfte aller afrikanischen Länder der UNO-Resolution, die den Angriff Russlands auf die Ukraine verurteilte, nicht anschlossen. Sie enthielten sich oder blieben der Abstimmung fern. Das international isolierte Eritrea stimmte gar dagegen.
Die aus Kamerun stammende und in Paris lebende Journalistin Marie Roger Biloa nennt weitere Gründe für das Abstimmungsverhalten. "Die afrikanischen Länder wollen nicht erneut in einen Kalten Krieg hineingezogen werden", sagt die Herausgeberin des Magazins "Africa International". Darüber hinaus würden sie dem Westen Doppelmoral vorwerfen.
So hat die Nato laut vieler afrikanischer Staaten ihr UN-Mandat in Libyen überzogen: Ausgelegt war es zum Schutz der Zivilbevölkerung. Geendet hat es mit dem Sturz des Langzeitherrschers Muammar al-Gaddafi. Schon damals warnten afrikanische Politiker vor dem Chaos, das dann tatsächlich eingetreten ist: Westafrika und die Sahelzone wurden mit Waffen und zurückkehrenden Söldnern aus Libyen überschwemmt, was zur Bildung zahlreicher Milizen geführt und die Region bis heute destabilisiert hat.
Staaten wollen sich nicht für eine Seite entscheiden
Es ist aber auch nicht so, dass viele afrikanische Staaten erpicht darauf wären, sich ganz auf die Seite Russlands zu stellen. Denn es ist nun mit dem Ukraine-Krieg zu einem unsicheren Partner geworden. So ist fraglich, inwieweit Moskau seine Waffenlieferungen noch aufrechterhalten kann.
Zudem kann Russland wirtschaftlich kaum etwas anbieten. "Russland investiert nichts, sondern nimmt nur die Mineralien", berichtet Biloa. Untersuchungen zufolge übersteigt das Handelsvolumen von Europa oder auch China mit Afrika das von Russland um das Zehnfache.
Generell wollen sich viele afrikanische Staaten nicht mehr für eine Seite, sei es der Westen, Chinas oder Russland entscheiden. Vielmehr sehen sie es als ihr souveränes Recht an, selbst zu bestimmen, mit wem sie in welchem Ausmaß zusammenarbeiten. Der Krieg in der Ukraine scheint dieser Haltung auf dem Kontinent, der selbst mit vielen eigenen bewaffneten Konflikten zu kämpfen hat, nur verstärkt zu haben.