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Mehrstufenklassen: elf Jahre erprobte Reformpädagogik. | Jüngere Kinder lernen von den älteren und umgekehrt. | Wien. Betritt man die "Sonnenklasse" in der Volksschule Lortzingasse in Penzing - eine der 83 reformpädagogischen Mehrstufenklassen (MSK) Wiens -, nimmt man sich gleich vorsichtig in Acht. Denn am Boden der beiden lichtdurchfluteten Klassenräume kauern mehrere Gruppen von zwei und drei Kindern und arbeiten konzentriert miteinander. Ohne Lehrerin. Sie üben das wöchentliche "Partnerdiktat", bei dem sie sich gegenseitig die zu lernenden Wörter ansagen und anschließend korrigieren. An der Klassentafel stehen die zu erreichenden "Wochenziele" der jeweiligen Schulstufe. Wann die Kinder die Rechen-, Schreib- und Leseaufgabe erledigen, bleibt ihrer Zeiteinteilung überlassen.
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Zwei Kinder, ein Bub der 3. und ein Mädchen der 4. Schulstufe, arbeiten währenddessen am Computer. Hier haben die beiden Lehrerinnen Ursula Koman und Christina Tomann für jedes der Kinder eine weitere zu lösende Aufgabe vorbereitet. Die beiden Frauen halten sich an ihren Schreibtischen dezent im Hintergrund und stehen, bei Bedarf, den 22 "altersheterogenen" Schulkindern zur Beantwortung von Fragen zur Verfügung. Es ist angenehm ruhig in der Klasse. Kein Kind blickt gelangweilt zur Decke, zappelt nervös oder stört.
Lehrer als Berater
Seit elf Jahren gibt es in Wien das MSK-Modell, bei dem Kinder von der 1. bis 4. Schulstufe gemeinsam unterrichtet werden. "Wir bereiten den Unterrichtsstoff so vor, dass für jedes Kind, egal in welchem Leistungs- oder Altersniveau es sich befindet, etwas Interessantes zu lernen dabei ist. Ich sehe mich bei meiner Arbeit mehr als Beraterin und Beobachterin, die Hilfe und Anregung gibt", berichtet Christina Tomann.
Vor acht Jahren hat sie sich für diese Unterrichtsform entschieden. "Seither habe ich deutlich mehr Arbeit, weil ich den Unterricht für die unterschiedlichen Kinder und Altersgruppen viel besser vorbereiten muss, dafür bin ich zufriedener und weniger frustriert als früher. Ich sehe, wie die Kinder selbständig, neugierig und selbstbewusst agieren. Sie arbeiten nicht der guten Noten willen, sondern, weil es sie einfach interessiert."
Benotung im herkömmlichen Sinn gibt es in der MSK erst in der 4. Schulstufe. In den Jahren davor dürfen die Kinder gemeinsam mit Eltern und Lehrern im sogenannten KDL-Gespräch (kommentierte direkte Leistungsvorlage) ihre Arbeit präsentieren und selbst bewerten.
Höhere Personalkosten
MSK-Unterricht ist teurer, da jede Klasse eine zusätzliche Lehrperson mit 13 Wochenstunden benötigt. Der Bedarf nach mehr Angebot ist vor allem unter "bildungsnahen" Familien groß. Aufgrund starker Nachfrage bieten zwei Wiener Schulen (Friedrichsplatz, Max-Winter-Platz) MSK auch im Rahmen der "Kooperativen Mittelschule" an (1. bis 4. Klasse Unterstufe). "Das Prinzip der Heterogenität ist die erfolgreichste Art zu lernen. Das Mehrstufensystem ist kinderfreundlich und kindergerecht. Es unterstützt die Individualität und hemmt sie nicht", ist Regina Grubich-Müller, Referatsleiterin für Schulversuche und Schulentwicklung im Wiener Stadtschulrat, überzeugt.
www.mehrstufenklassen.info
www.schulentwicklung.at