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Die Zahl der Heroin-Einsteiger ist in den vergangenen Jahren gesunken. Corona dürfte nicht zu mehr Suchtkranken geführt haben - bestehende Abhängigkeiten verschlechterten sich aber.
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Die Pandemie und die Sucht: In Kombination warf das von Anfang an zahlreiche Fragen auf. Lässt die Krise den Drogenkonsum steigen, weil viele flüchten und sich betäuben wollen? Oder lässt sie ihn womöglich gar sinken, weil mangels Menschen auf den Straßen und in Clubs und Lokalen auch die Verfügbarkeit diverser Substanzen zurückgeht?
Laut einem Bericht der UNO hat der Substanzkonsum in der Pandemie weiter zugenommen. Im vergangenen Jahr konsumierten demnach 275 Millionen Menschen Drogen. Genauere Zahlen zum Einfluss von Corona auf den Suchtmittelkonsum in Österreich wird es erst mit Erscheinen des jährlichen Drogenberichtes Ende des Jahres geben. Etwas detailliertere Einschätzungen hat man aber bereits in Wien, wo nicht nur die meisten Suchtmittel konsumiert werden, sondern auch das Monitoring traditionell engmaschig ist.
"Bei den legalen Substanzen, vor allem Alkohol, sehen wir ganz klar Zuwächse", sagt der Leiter der Wiener Sucht- und Drogenkoordination Ewald Lochner im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Bei den illegalen Substanzen war der Verlauf aber auch während der Pandemie sehr konstant." Dass der Konsum verbotener Substanzen nicht stark gestiegen sei, habe auch viel damit zu tun, dass man die Substitutionstherapie während der Lockdowns vereinfacht habe. "Wir merken keinen Zuwachs bei den Opioidabhängigen", sagt Lochner. "Und das ist entscheidend."
Mit Opioidabhängigen sind in Österreich vor allem (ehemalige) Heroinkonsumenten gemeint. Auch Martin Busch, Leiter des Kompetenzzentrums Sucht der dem Gesundheitsministerium unterstellten Gesundheit Österreich, teilt die Einschätzung, dass die Zahl der von Opioiden Abhängigen durch Corona eher nicht gewachsen ist. "Bei Menschen, die schon ein Suchtproblem hatten, ist aber häufig eine Verschlechterung eingetreten."
Substitutionstherapie als Erfolgsgeschichte
Opioidabhängige in Behandlung erhalten hierzulande seit 1987 eine Substitutionstherapie, in der sie mit Ersatzstoffen wie Methadon, retardiertem Morphin oder Codein behandelt werden. Dafür müssen die Patientinnen und Patienten in der Regel einmal pro Monat zu einem Arzt oder einer Ärztin für Allgemeinmedizin, die das täglich einzunehmende Medikament für die kommenden Wochen verschreibt. Während der Lockdowns lockerte man die Regelung ein wenig, um persönliche Kontakte, wo möglich, zu vermeiden und die Praxen zu entlasten.
In Wien, wo derzeit rund 6.500 Patienten in Substitutionstherapie sind, erfolgt nur bei einem kleinen Teil von rund 18 Prozent eine tägliche "kontrollierte Einnahme" unter Aufsicht in einer Apotheke - in diesem Fall einerseits, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass der Patient die Therapie beibehält; andererseits auch, um zu verhindern, dass mit Substitutionsmitteln am Schwarzmarkt gehandelt wird. Der weitaus größte Teil von rund 60 Prozent der Patienten erhält das Medikament aber jeweils für eine Woche zur Selbsteinnahme zu Hause.
Heroinkonsum gibt es indessen weit mehr als Ersatztherapien. Laut Drogenbericht 2020 konsumieren schätzungsweise zwischen 31.000 und 37.000 Personen risikoreich Opioide - großteils Heroin. Das ist im internationalen Vergleich ein eher hoher Wert. Es gibt aber auch eine positive Nachricht aus dem Drogenmonitoring: Nach einer massiven Zunahme an Opioidkonsumenten insbesondere in der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen zwischen 2000 und 2005, gingen die Zahlen in den Jahren danach wieder zurück. Die Entwicklung der Zahlen in dieser Altersgruppe ist laut Experten entscheidend, weil der Erstkontakt mit Heroin meist in diesen jungen Lebensjahren erfolgt. Die Gesamtzahl der Abhängigen sinkt allerdings auch bei weniger Neueinsteigern nicht, weil Opioidabhängigkeit in der Regel zu einer chronischen Erkrankung wird - und Patienten nicht selten jahrzehntelang in Substitutionstherapie bleiben.
Die Ersatztherapie jedenfalls gilt als Erfolgsgeschichte. Laut den Schätzungen im Drogenbericht 2020 befindet sich aktuell mehr als die Hälfte der Personen mit risikoreichem Opioidkonsum in einem Substitutionsprogramm. Über die Jahre konnte die Behandlungsrate massiv erhöht werden, 2019 waren österreichweit 19.587 Personen in Substitutionstherapie. Ein Erfolg ist das Programm auch, weil die Patienten in Therapie immer älter werden - und viel seltener frühzeitig sterben als in Zeiten vor der Ersatzmedikation.
Ärztekammer kritisiert Gesundheitskasse
Ein Hemmnis für die Substitutionsprogramme gibt es allerdings auch: Besonders außerhalb von Wien finden sich immer weniger praktische Ärztinnen und Ärzte, die Ersatztherapien durchführen wollen. Das dürfte zum Teil an den Weiterbildungen liegen, die Mediziner dafür absolvieren müssen, vor allem aber an der aufwendigen Behandlung. "Für viele Ärzte ist es schwierig, diese Zielgruppe in den Behandlungsalltag zu integrieren", sagt Busch.
Die Ärztekammer (ÖÄK) kritisierte unterdessen am Mittwoch, dass eine in Europa seit 2018 zugelassene monatliche Spritze zur Opiat-Substitution in Österreich nicht breit verfügbar ist. Denn die Gesundheitskasse (ÖGK) übernimmt die Kosten dafür bislang nicht. Das Medikament Buvidal mit dem Wirkstoff Buphrenorphin ist zwar rund fünf bis sechsmal teurer als die übliche Substitution, muss dafür aber eben nur einmal im Monat verabreicht werden. Dafür kämen allerdings nur sehr stabile Substitutionspatienten in Frage. Der Leiter des Referates für Opioid der ÖÄK, Norbert Jachimowicz, schätzt die potenzielle Zielgruppe gegenüber der "Wiener Zeitung" auf "rund 300 bis 500 Personen".