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Wie soll man Begabungen fördern?

Von Erich Brunmayr und Mathilde Stockinger

Politik

Kognitives Lernen dominiert zu sehr. | Von den Stärken der Kinder ausgehen. | Gmunden. Seit langem sehen wir einen markanten Mentalitätswandel in der Bildungspolitik und in der Lehrerschaft. Während in den Siebzigerjahren markante Reformimpulse in Richtung Herstellung von Chancengleichheit im Bildungssystem die Diskussion und das Engagement der Pädagogik prägten, bewegen seit Mitte der Achtzigerjahre eher standespolitische und organisatorische Fragen die Gemüter.


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Dabei zeigen alle empirischen Studien, dass die Vision der Chancengleichheit zwischen den sozialen Milieus in keiner Weise realisiert worden ist. Nach wie vor ist die "Bildungsabstinenz der Arbeiter" und die Benachteiligung von Kindern aus "Unterschichtmilieus" evident. Insgesamt ist es logisch, dass wir aufgrund der jahrzehntelangen roten und schwarzen Reformverweigerung in internationalen Bildungsrankings zurückgefallen sind. Wir lassen in der Bildungspolitik eine Grunderkenntnis außer Acht: dass nämlich Menschen über vielfältige Begabungen verfügen, die sozial gefördert oder vernachlässigt werden. Unser Bildungssystem fördert zumindest im Pflichtschulbereich in den Lehrplänen in erster Linie die kognitiven Begabungen: die sprachliche und die mathematisch-rechnerische Begabung.

Spätestens seit Basil Bernstein in den Sechzigerjahren wissen wir, dass diese beiden Intelligenzbereiche charakteristisch für die Milieus mit hohem Bildungsstandard sind, dass aber in den handwerklichen und den Unterschichtmilieus die praktische, handwerkliche und die sozial-emotionale Intelligenz etc. relativ besser entwickelt sind. Die Bildungspolitik hat das trotz emanzipatorischer Rhetorik nie interessiert. Schulerfolg wird fast ausschließlich über kognitives Lernen definiert. Und hier sind die Schüler aus gehobenen Milieus markant im Vorteil. Gleichzeitig leisten wir uns den Luxus, auf die Förderung vielfältiger Talente zu verzichten.

Empirische Studien

In unseren empirischen Studien klagen österreichweit die Eltern seit Jahren am meisten darüber, dass in der Schule "zu wenig" auf die individuellen Begabungen der Kinder eingegangen wird (61 Prozent) und dass es "zu wenig" "Unterstützung für Schüler aus schwierigem Milieu" gibt (64 Prozent).

Kinder kommen mit sechs Jahren in die Schule, sind aber motorisch, sozial, sprachlich, praktisch, intellektuell sehr unterschiedlich entwickelt. In den meisten unserer Landeskindergärten bemühen wir uns höchst professionell, die Talente der Kinder aufzuspüren und diese Talente zu fördern. In der Schule wird dann der Einheitslehrplan an die Adresse der ganzen Klasse zu vermitteln versucht. Möge niemand über die Klassenschüler-Höchstzahl klagen: Oft sind die Klassen viel kleiner, aber auch da wird die ganze Klasse, werden nicht einzelne Schüler unterrichtet.

Die Faszination einer neuen, an der Talenteförderung orientierten Pädagogik liegt darin, die Unterschiedlichkeiten der Schüler als Chancenpotenziale zu sehen: die Kinder in ihren individuellen Begabungen zu fördern und dadurch zu motivieren, auch weniger entwickelte Bereiche leichter trainieren zu können, um mit Freude auch das Schreiben, Rechnen und Lesen zu erlernen und zu üben.

Schulische Lernmotivation entsteht durch Erfolg. Erfolg entsteht aber am besten daraus, dass ich meine Stärken entfalten und einbringen kann. Gegenwärtig leisten wir uns den Luxus, dass wir wesentliche Begabungsbereiche wie etwa die praktische Intelligenz, die Kreativität etc. schulisch nicht berücksichtigen. Leicht möglich, dass unser Problem der viel zu wenigen Studienanfänger in den technischen Disziplinen hier mitverursacht wird.

Neue Curricula nötig

Wenn wir im pädagogischen Umgang von den Stärken der Kinder ausgehen, so bewirkt das natürlich ein vollkommenes Umdenken von Schule und Pädagogik und eine anderes Umgehen mit den Kindern. Wir werden neue Curricula entwickeln müssen und auch neue Ansätze in der Methodik brauchen. Die Pädagogischen Institute, vor allem aber die Pädagogischen Hochschulen könnten sich statt nur über den neuen Namen nun auch über neue Aufgaben und Forschungsbereiche freuen. Die Aufgabe der Lehrer wäre pädagogische Entwicklungshilfe für das einzelne Kind: die Entwicklung seiner Talente, die Eingliederung in die Klassengemeinschaft und letztlich die Hilfe bei der erfolgreichen Eingliederung in die Erwachsenenwelt. - Eine faszinierende Aufgabe für eine engagierte Bildungspolitik!

Dr. Erich Brunmayr ist Sozialforscher, Mathilde Stockinger ist Betreuungslehrerin in Gmunden.