Der Portugiese hat es geschafft: José Manuel Barroso wurde vom Europäischen Parlament in Straßburg eine zweite Amtszeit zugesprochen, und das sogar mit der absoluten Mehrheit, wie er sie laut dem noch nicht in Kraft getretenen Lissabon-Vertrag gebraucht hätte. Insofern hat der neue alte Kommissionspräsident wohl eine stärkere Position als bisher inne. Denn damit sind auch jene Stimmen der Opposition, die das Referendum der Iren über den Vertrag abwarten wollten, obsolet geworden.
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Zu diesen Stimmen zählten die meisten Sozialdemokraten, allerdings nicht alle. Die vereinzelten Pro-Barroso-Stimmen aus dem sozialistischen Lager kamen wohl vor allem von der iberischen Halbinsel. Die meisten übten sich, wie am Dienstagabend vereinbart, in Stimmenthaltung.
Lange hatte sich die Führung der sozialdemokratischen Fraktion gegen Barroso gewehrt. Eine einheitliche Haltung war aber offenbar nicht zu erzielen, zumal sich auch sozialdemokratische Regierungschefs wie Österreichs Werner Faymann für ihn ausgesprochen hatten. Die alibihafte Stimmenthaltung ist der beredte Ausdruck dieser Unentschlossenheit.
Ob diese Enthaltung allerdings den Barroso-Anhängern als Zeichen sanft genug ist, um sie mit den Sozialdemokraten auszusöhnen, scheint laut ersten Reaktionen zweifelhaft. Zwar hat Barroso der bei der EU-Wahl stark geschwächten Fraktion zugesagt, einen der noch zu schaffenden Posten - den künftigen Präsidenten oder den EU-Außenminister - mit einem Sozialisten zu besetzen, aber das liegt gar nicht in seiner Kompetenz. Auch über diese Postenbesetzungen entscheiden vor allem die Mitgliedsländer, der EU-Kommissionspräsident kann bestenfalls seinen Einfluss geltend machen.
Andererseits wird Barroso möglicherweise auch künftig vom Wohlwollen der Sozialisten abhängig sein. Denn die Fraktion der europaskeptischen, von den Tories geführten Konservativen, die diesmal für ihn gestimmt hat, ist ein unsicherer Bündnispartner, wenn es um große Vorhaben geht. Diese würden am liebsten sogar den Lissabon-Vertrag verhindern, der die Europäische Union auf neue institutionelle Füße stellen soll.
Von dem Vertragswerk wird abhängen, wie die künftige Kommission besetzt sein wird und wie viele Posten darin zu vergeben sind. Ob es in Kraft treten kann, werden zunächst einmal die Iren am 2. Oktober entscheiden. Bis dahin will Barroso warten, um mit der Bildung der Kommission zu beginnen. Das wird noch geraume Zeit in Anspruch nehmen - Zeit, die vielleicht auch dazu genützt wird, die geschlagenen Wunden verheilen zu lassen.