Wirtschaftlich lebensfähig wäre ein unabhängiges Schottland ohne Zweifel. Doch der von vielen erhofften rosigen Zukunft dürfte rasch Ernüchterung folgen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Edinburgh. In einem sind sich die meisten britischen Ökonomen einig. Ein unabhängiges Schottland könnte durchaus auf eigenen Beinen stehen. "Sehr viel ärmere Länder als Schottland haben es auf eigene Faust geschafft", meint der Londoner Wirtschafts-Experte Larry Elliott. "Ein schottischer Staat ist vollkommen lebensfähig", pflichtet sein Kollege Ben Chu ihm bei.
Mit seinen reichen Ölquellen, dem stärksten Finanzsektor der Insel außerhalb Londons, einer gut entwickelten biomedizinischen Forschung und einer ausgedehnten Produktion im Militärbereich hätte die Nation mit ihren 5,3 Millionen Einwohnern in der Tat eine hervorragende Startchance. Von Lachs und Shortbread bis zu ihren weltweit berühmten Whisky-Marken verfügen die Schotten zudem über eine florierende Nahrungsmittelindustrie auf ihrem Teil der Insel. Und natürlich ist auch Tourismus ein Evergreen.
Öl und Gas eingerechnet, liegt das schottische Bruttosozialprodukt pro Kopf deutlich über dem britischen Durchschnitt. Hunderte schottischer Unternehmer wollen darum auch für Unabhängigkeit stimmen: Sie sind davon überzeugt, dass ein eigenständiges Schottland sich in der Welt noch besser verkaufen ließe.
Mindestens ebenso viele, darunter einige der einflussreichsten Konzernbosse, warnen hingegen eindringlich vor den Gefahren einer Abspaltung vom Rest der Britischen Inseln. Die Grenze, separate Steuergebiete und Währungs-Ungewissheit, erklären sie, könnten den Wohlstand Schottlands rasch untergraben.
Banken drohenmit Übersiedelung
Vier der großen in Schottland ansässigen Banken, darunter die Royal Bank of Scotland und die Lloyds Bank, haben angedroht, ihre Hauptquartiere nach England zu verlagern. Einige der bedeutendsten britischen Supermarktketten haben den Schotten - wegen ihrer geografischen "Abgelegenheit" und der dünnen Besiedlung vieler Landesteile - drastische Preiserhöhungen in Aussicht gestellt.
Etliche Geschäftsleute fürchten Probleme für ein Schottland, das sich plötzlich außerhalb der EU fände. Wieder andere verweisen darauf, dass allein notwendige administrative Reformen und die Schaffung neuer Institutionen für einen schottischen Staat "ein Vermögen" kosten würden.
Schottlands Regierungschef Alex Salmond sieht in solchen Einwänden allerdings "Panikmache", die seine Landsleute nur von einem "Ja" zur Unabhängigkeit abhalten soll. Der Führer der schottischen Nationalisten ist überzeugt davon, dass in den Wochen und Monaten nach dem Referendum vieles in Ruhe ausgehandelt werden könnte.
Salmond verweist auf schätzungsweise 24 Milliarden Barrel an Öl- und Gas-Reserven in schottischen Gewässern im Wert von 1,5 Billiarden Pfund (1,9 Billiarden Euro) für die nächsten vierzig Jahre. Die Öl-Industrie setzt diese Reserven um ein Drittel tiefer an und warnt vor Preis-Fluktuationen und vor den kommenden enormen Kosten der Öl-Ausbeutung in tieferen Gewässern.
Kenner der Branche prophezeien auch, dass Salmond den Konzernen in einem "freien Schottland" günstige Steuerraten werde zubilligen müssen, um sie vom Abzug in profitablere Gebiete anderswo in der Welt abzuhalten - statt, wie er es sich bisher vorstellt, seinem Land einen "Öl-Fond" nach norwegischem Vorbild einzurichten.
Die größten Probleme bereitet die Frage der künftigen Währung. Salmond geht ja davon aus, dass Schottland sich das Sterling mit dem Rest Britanniens teilen wird. Das lehnen Regierung und Opposition in Westminster gleichermaßen ab. Sie wollen keine Verantwortung für ein unabhängig operierendes Schottland übernehmen. Die Bank von England, die "Kreditgeberin der letzten Instanz", will nicht geradestehen.
Eine Alternative wäre der Gebrauch des Pfunds in Schottland ohne Vereinbarung mit London - in der Weise, in der Panama den US-Dollar benutzt. Das würde die Schotten natürlich von der Londoner Geldpolitik abhängig machen, ohne dass sie überhaupt Einfluss auf sie hätten.
Währungsfrageweiterhin offen
Denkbar wären auch zwei andere Lösungen. Die eine wäre der Beitritt zum Euro (zurzeit undurchsetzbar). Die andere eine eigene Währung, wie sie etwa Dänemark hat. Dafür müsste es sich allerdings, wie Fachleute meinen, einen finanziellen Rückhalt von mindestens 34 Milliarden Pfund (42,7 Milliarden Euro) schaffen. Und ohne drastische Haushaltskürzungen oder Steuererhöhungen wäre das selbst mit dem Öl-Geld nicht zu leisten. Finanziellen Ruin müsse Schottland zwar nicht befürchten, meint Larry Elliott: "Aber ein Land, in dem Milch und Honig fließen, würde es auch nicht gerade sein."
Vorerst glaubt Alex Salmond immer noch, in den nächsten Monaten einen Währungs-Deal mit London zu erzielen. Selbst wenn ihm das gelänge, geben freilich Kritiker zu bedenken, würde er Bedingungen akzeptieren müssen, die seine Hände bänden und Schottland ins Kielwasser Londons zwängen - ganz wie kleine Euro-Länder sich dem Diktat ihrer Finanzgaranten unterwerfen müssten. In Wirklichkeit, warnen Skeptiker, werde sich Schottland auch mit nationaler Unabhängigkeit keine echte Unabhängigkeit einhandeln: Die entsprechende Ernüchterung stehe erst noch bevor.