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Wie unmoralisch ist Sparsamkeit?

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Warum die Abschaffung der Sparzinsen letztlich die politische Freiheit der Bürger beschädigt und einschränkt.


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Wenn die österreichischen Banken und Sparkassen Ende Oktober, so wie jedes Jahr, wieder einmal den sogenannten Weltspartag inszenieren, wird dies ein Ereignis von ziemlich hoher absurder Qualität sein. Denn wer heute noch spart, gilt in der brandgefährlichen Welt der Null- und Negativzinsen, wie sie die Europäische Zentralbank unverdrossen betreibt, als gefährlicher Irrer.

Gefährlich ist der Sparer aus der Sicht der EZB, weil er nicht so viel konsumiert, wie er könnte, und damit keinen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leistet; und irre, weil er dabei zusieht, wie seine Ersparnisse immer weniger wert werden. Dieses üble Verhalten auch noch mit einer Art Feiertag gutzuheißen, ist in der absurden Logik der Negativzinswelt ungefähr so wie ein Welttag des Drogenmissbrauchs, an dem kleine Kinder Gratisspritzen, Opiumkostproben und Joints geschenkt bekämen.

Dass Sparen, über Jahrhunderte als eine bürgerliche Tugend anerkannt, plötzlich zu einem asozialen und volkswirtschaftlich schädlichen Verhalten umgedeutet und entsprechend mit Minuszinsen pönalisiert wird, hat freilich gravierende Auswirkungen weit über das Ökonomische hinaus. Denn bewusst auf heutigen Konsum und die damit verbundenen Lustgewinne zu verzichten, ist eine der bedeutenderen zivilisatorischen Errungenschaften der vergangenen Jahrhunderte. Wer spart, um etwa für seinen Lebensabend vorzusorgen, Kindern eine besonders gute Ausbildung zu ermöglichen oder auch nur, um kostspieligen Schicksalsschlägen nicht hilflos ausgesetzt zu sein, gewinnt damit ein Stück Autonomie. Wer ausreichend gespart hat, um diese Ziele zu erreichen oder auch nur im Falle einer unerfreulichen Wendung der Biografie die finanziellen Folgen selbst schultern zu können, wird damit deutlich unabhängiger vom fürsorglichen Staat oder der karitativen Hilfe Dritter.

Kurz: Wer spart, legt damit ein solides Fundament zu einer Existenz als selbstbewusster Citoyen der Republik, der dem Staat nicht als demütiger Bettler gegenübersteht, sondern als unabhängiger Souverän. "Die Bildung von Eigentum durch das Zurücklegen von Geld führt zu großer wirtschaftlicher Freiheit des Individuums, was wiederum eine notwendige Bedingung für politische Freiheit ist," analysierte jüngst der Schweizer Publizist Michael Rasch in der "Neuen Zürcher Zeitung".

Demgegenüber hat übermäßiger Konsum immer etwas leicht Infantiles an sich. Wer nicht imstande ist, sich Konsum zu verkneifen, um dafür Unabhängigkeit und langfristige Sicherheit zu gewinnen, gleicht letztlich immer einem Kind, das nicht imstande ist, selbst und ohne Beistand Dritter sein Leben zu fristen. Das macht unfrei und abhängig.

Genau das aber ist die Folge jener üblen Politik, mit der die EZB die Sparer bewegen will, ihr Vermögen in den Konsum zu stecken, um Wirtschaftswachstum zu generieren. Übrigens bis jetzt mit sehr überschaubarem Erfolg, denn den Sparern ist im Großen und Ganzen die Freiheit, die sie durch ihr Verhalten gewinnen, wichtiger als die entgangenen Zinsen oder gar vereinzelte Negativzinsen wie in der Schweiz. Den zivilisatorischen Fortschritt von ein paar hundert Jahren einfach zurückzudrehen, ist offenbar nicht ganz so leicht. Und das ist gut so.