Verwaltungsexpertin Dearing im Interview über die Wirkungsorientierung und die Notwendigkeit einer Reform.
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Vor einigen Wochen präsentierte die "Initiative Bessere Verwaltung" ein Bündel an Vorschlägen, um einerseits einer drohenden Krise der österreichischen Bürokratie entgegenzuwirken - Anzeichen dafür gibt es bereits -, und um andererseits Impulse für eine Weiterentwicklung zu geben. Darunter fällt auch, die Wirkungsorientierung zu stärken. Was das genau ist und warum dieses Prinzip sinnvoll ist, erklärt die langjährige Abteilungsleiterin für Verwaltungsinnovation im Bundeskanzleramt, Elisabeth Dearing.
"Wiener Zeitung": Verfügt Österreich in der Verwaltung über moderne Strukturen und Systeme?Elisabeth Dearing: Es gibt punktuelle Ansätze, aber keine Gesamtstrategie. Zum Beispiel ist im Bereich Forschung, Technologie und Innovation eine Strategie ausgearbeitet worden, aber es gibt viel mehr dieser komplexen Problemfelder. Im Gesundheitsbereich war die Bundeszielsteuerung ein guter Ansatz, als sich Bund, Länder und Sozialversicherung gemeinsame Ziele gesetzt haben. Aber es zeigen sich auch hier Steuerungsschwächen.
Der Rechnungshof hat kritisiert, dass im Widerspruch zum Ziel, die gesunden Lebensjahre zu erhöhen, die "healthy life years" abgenommen haben.
Für Gesundheitsförderung und Prävention fehlte eine nachhaltige Finanzierung. Für eine Strategie braucht es Ziele, konkrete Maßnahmen und Indikatoren, um messen zu können, ob die Ziele erreicht wurden. Findet keine Evaluierung statt, ist dies ebenso eine Steuerungsschwäche wie das Fehlen der erwähnten Finanzierung. Das kommt in Österreich häufiger vor.
Im Jahr 2013 wurde in Österreichs Verwaltung die Wirkungsorientierung eingeführt. Die wenigsten Menschen in Österreich haben je davon gehört. Daher: Was ist das?
Im Budgetdenken wird von Erfolg im Budgetvollzug gesprochen, wenn das geplante Geld ausgegeben wird. Aber das ist eine etwas eigenartige Definition. Man sollte finanzielle Ressourcen einsetzen, um eine bestimmte Wirkung zu erreichen.
Wie ist das umgesetzt?
Wirkungsorientierung heißt, dass im Bundesfinanzgesetz für jedes Ressort Wirkungsziele und Indikatoren genannt und auch Maßnahmen festgelegt werden. Das ist ein grundsätzlich kluger Ansatz. Das Parlament erhält dadurch auch zusätzlich Informationen, wofür die Budgetmittel eingesetzt werden und welche Ziele damit erreicht werden sollen. Etwa, wenn das Innenministerium die Aufklärungsrate steigern will. Es gab immer wieder Bedenken, sich auf bestimmte Ziele festzulegen, weil zum Beispiel die zukünftige Kriminalitätsentwicklung nicht vorhersehbar sei.
Das heißt, die Politik hat Angst, dass durch irgendein Ereignis, das sie nicht beeinflussen kann, die Ziele verfehlt werden und dies auf sie zurückfällt?
Genau.
Wie kann die Verwaltung der Politik die Angst nehmen?
In Großbritannien gab es ein System mit klaren Zielen und Kennzahlen. Wenn Ziele verfehlt wurden, mussten sich die staatlichen Agenturen vor dem Parlament rechtfertigen. Sie mussten erklären, aus welchem Grund die Ziele nicht erreicht wurden und welche Verbesserungsmaßnahmen man plant. Eine solche Fehlerkultur ist bei uns bisher wenig ausgeprägt.
Wie wird die Wirkungsorientierung in Österreich gelebt?
Als sie 2013 umgesetzt wurde, war ich öfter im Budgetausschuss des Parlaments. Die meisten Abgeordneten waren gut vorbereitet und haben der Ministerin oder dem Minister genaue Fragen zu den Wirkungszielen und Indikatoren gestellt. Oft wurde kritisiert, dass die Ziele nicht ambitioniert genug seien, obwohl das gesetzlich verlangt wird. Es hat wirklich rege Diskussionen gegeben, aber die sind mittlerweile abgeebbt und das Parlament, so höre ich, erlebt die Wirkungsorientierung eher als bloßes Berichtswesen. Es passiert wenig Weiterentwicklung.
Wo sehen Sie Potenzial zur Verbesserung und eben Weiterentwicklung dieses Steuerungsinstruments?
Derzeit werden Wirkungsziele je Ressort festgelegt. Es wäre sinnvoll, auf höherer strategischer Ebene, nicht begrenzt auf ein Ministerium, strategische Ziele zu definieren, Indikatoren mit Zielwerten festzulegen und die Zielerreichung regelmäßig zu evaluieren. Beim Klimaschutz ist augenscheinlich, dass mehrere Ressorts betroffen sind, auch bei der Gesundheit und der Gleichstellung von Frauen. Für diese komplexen Aufgabenfelder sollten jeweils gemeinsame Ziele vereinbart werden. Es braucht ein Zusammenwirken der Ministerien.
Die "Initiative bessere Verwaltung" fordert dafür die Installierung einer strategischen Koordinierungsstelle im Bundeskanzleramt. Was soll die tun?
Sie sollte die Politik mit Lage- und Umfeldanalysen und Vorschlägen für politische Ziele und Schwerpunktprogramme unterstützen. Die Koordinationsstelle sollte aber auch Prozesse zur gemeinsamen Zielfindung der betroffenen Ressorts initiieren. Jedes Ministerium hat seine Ressorthoheit, das Bundeskanzleramt kann nicht in andere Ressorts hineinregieren.
Braucht der Bundeskanzler eine Richtlinienkompetenz?
Nicht unbedingt, das ließe sich auch mit den derzeitigen Mitteln, also etwa einem Ministerratsbeschluss und einer starken Koordinationsstelle machen. Die Stelle im Bundeskanzleramt sollte sich um das Operative kümmern. Es gibt zwar eine Wirkungscontrollingstelle im Ministerium von Vizekanzler Werner Kogler, aber es bräuchte eine Ministerin, die sich für diese Aufgabe Zeit nimmt, regelmäßig nachfragt und sich berichten lässt.
Das klingt mehr nach einem eigens zuständigen Kanzleramtsminister oder einem Staatssekretär im Kanzleramt.
Genau, und das hat es ja auch immer wieder gegeben. Ich kann mich noch an Wolfgang Ruttenstorfer erinnern, der gemeinsam mit Wilhelm Molterer bei der Steuerung eines Verwaltungsinnovationsprogramms stets aktiv nachgefragt und unterstützend eingegriffen hat.
Es gibt die Idee eines Rechtsanspruchs auf Kinderbetreuung wie in Deutschland. Abgesehen von der politischen Bewertung: Gesetzlich wäre das eine Fingerübung, aber wie setzt man das in der Ebene um? In Deutschland funktioniert es seit Jahren nicht.
Kinderbetreuung ist eine gemeinschaftliche Aufgabe. Es wären mehrere Stellen beteiligt. Für die Ausbildung ist der Bund zuständig, für Gesetzgebung die Länder, die Gemeinden für die Infrastruktur. Teilweise gibt es auch Unterschiede zwischen den Bundesländern. Es bräuchte eine neue Kultur des gemeinsamen Handelns, die damit beginnt, dass sich Bund, Länder und Gemeinden auf gemeinsame Ziele einigen und sie auch umsetzen wollen. Das kann eine ganz starke Motivation sein. Unser Problem ist, dass schon bei der Zielfindung jeder sein eigenes Süppchen kocht. Bei Verhandlungen zum Finanzausgleich gab es den Versuch, gemeinsame Wirkungsziele und Indikatoren zu finden. Es gab zahllose Sitzungen ohne Ergebnis, weil etwa Uneinigkeit zwischen den Bundesländern bestand, was ganztägige Kinderbetreuung bedeutet. In einem Bundesland bedeutete es Öffnungszeiten bis 14 Uhr, in anderen bis 17 Uhr.
Wäre das auch eine klassische Aufgabe für diese strategische Koordinierungsstelle im Kanzleramt?
Damit wäre die Koordinierungsstelle wohl überfrachtet. Diese Stelle ist primär für ein verbessertes Zusammenwirken der Ministerien gedacht, nicht auch noch anderer Gebietskörperschaften.
Ein Minister oder eine Kanzlerin wird aber verantwortlich gemacht, wenn das Ziel verfehlt wird. Muss es da eine Möglichkeit geben, zu intervenieren, wenn andere Ebenen nicht liefern?
Eine Option wäre, die Parlamente stärker einzubinden, oder auch eine Struktur in der Verwaltung zu schaffen, die eine regelmäßige Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ermöglicht. Dabei geht es auch darum, das gegenseitige Vertrauen zu fördern, gemeinsame Werte zu entwickeln und die Ergebnisse den Parlamenten und der Öffentlichkeit gegenüber transparent machen.
Die Politik ist systemisch kurzfristig orientiert. Dem gegenüber stehen oft langfristige Pläne: Klimaziele müssen erreicht werden, die Lebenserwartung gesteigert, Bildungslücken verringert werden. Wie kann die Verwaltung unterstützen, damit langfristige Ziele auch Regierungswechsel überleben?
Kontinuität in der Verwaltung ist wichtig. Die Führungskräfte in der Verwaltung sind die Hüter der Kontinuität. Wenn man die Sektionschefinnen und -chefs wie die Hemden wechselt, ist sie gefährdet. Früher hat es nach Wahlen auch Klausuren mit den neuen Ministerinnen und Ministern gegeben. Dabei wurde ausgelotet, welche Ideen weitergeführt und welche neuen Projekte initiiert werden sollten. Damit ließ sich auch Kontinuität schaffen.
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