In Taiwan wird darüber gestritten, ob man China zu viel Einfluss gewährt.
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Taipeh/Wien. Die Eingangstüren sind mit Stühlen blockiert, an den Wänden wurden Plakate angebracht. Auf Stühlen, auf Tischen, am Boden, überall im ganzen Raum verteilt sitzen Studenten: Hunderte Hochschüler haben das Parlament in Taiwan besetzt. Die Polizei versuchte vergeblich, das Gebäude zu räumen, sie hatte aber auch die Order, auf Gewalt zu verzichten. Auch vor dem Parlament demonstrierten rund 2000 aufgebrachte Bürger.
Der Protest entzündete sich an einem geplanten Handelsabkommen mit China. Taiwan und die Volksrepublik würden dabei große Teile ihres Dienstleistungssektor, darunter etwa das Bankenwesen oder den Tourismus, für Unternehmen und Investitionen der Gegenseite öffnen. Das Abkommen hatten Unterhändler aus China und Taiwan im Juni vergangenen Jahres unterzeichnet, wobei die Öffentlichkeit über den Inhalt der Verhandlungen zuvor nicht groß informiert worden war. Während von großen Wirtschaftskapitänen positive Stimmen zu dem Abkommen zu hören waren, fürchten viele kleinere taiwanesische Geschäftsleute - etwa jene, die mit traditioneller chinesischer Medizin handeln - die Billigkonkurrenz aus Festlandchina.
Furcht vor Wirtschaftskraft der Volksrepublik
Nun wehren sich die aufgebrachten Studenten gegen die Ratifizierung des Vertrages. Sie werfen der regierenden Kuomintang-Partei undemokratisches Verhalten vor, diese habe das Abkommen viel zu schnell durch den zuständigen Ausschuss gepeitscht. Die Studenten agieren zwar unabhängig von politischen Parteien, doch ihre Forderung deckt sich mit der der oppositionellen Demokratischen Fortschrittspartei (DPP): Diese will, dass das Abkommen noch einmal Punkt für Punkt geprüft wird.
Denn bei diesem Deal mit Festlandchina geht es nicht nur um Handelsbilanzen, Arbeitsplätze und Joint-Ventures, sondern auch um eine Frage, die für Taiwan existenzielle Bedeutung besitzt: Wie viel Einfluss soll der Volksrepublik China gewährt werden? Peking sieht das demokratisch regierte Taiwan als abtrünnige Provinz an und behält sich vor, sich die Insel mit Militärgewalt einzuverleiben.
Mancher Gegner des Deals mit Peking argumentiert, dass eine zu starke Öffnung Taiwans hin zur Volksrepublik die Souveränität der Insel untergraben könnte. So kritisierte etwa Lin Chun-hsien, der Sprecher der oppositionellen DPP, dass laut dem Abkommen jede chinesische Firma, die 300.000 Dollar investiert, auch drei chinesische Arbeiter mitbringen kann. "Wir fürchten, dass China bei einer derart niedrigen Hürde Scheininvestitionen tätigt, um mehr seiner Leute hierher zu bringen", sagte der Politiker der BBC. Lin spielt damit auf Ängste an, die schon länger in Taiwan existieren: Dass China Taiwan sozusagen durch die Hintertür, durch seine schiere Wirtschaftskraft, erobern wird, dass der ökonomische Austausch sich auch irgendwann politisch niederschlägt. Schon jetzt ist China der weitaus wichtigste Handelspartner von Taiwan.
Präsident Ma Ying-jeou und seine regierende Kuomintang gehen indes einer ganz anderen Weg: Sie suchen die Annäherung an China. Davon versprechen sie sich sowohl wirtschaftliche als auch sicherheitspolitische Vorteile für Taiwan. Seit seinem Amtsantritt 2008 treibt Ma daher eine engere Bindung an China voran und ist dabei in Peking auf Wohlwollen gestoßen: Schon 2010 unterzeichneten beide Seiten ein wirtschaftliches Rahmenabkommen, durch das Zölle und Handelsbeschränkungen abgebaut wurden. Und im Februar 2012 haben China und Taiwan erstmals seit dem Ende des chinesischen Bürgerkriegs 1949 - die Kuomintang hatte diesen gegen die Kommunisten verloren und ist daraufhin nach Taiwan geflüchtet - offizielle Gespräche auf Regierungsebene geführt.
Bei seinem jüngsten Deal, dem Dienstleistungsabkommen mit China, erwartet Ma aber noch viel Widerstand. Die protestierenden Studenten wollen das Parlament vorerst nicht verlassen, und weitere Aktivisten sollen schon auf dem Weg in die Hauptstadt Taipeh sein. Und auch die DPP will sich nicht geschlagen geben. Drei Abgeordnete sind nun gar in einen 70-stündigen Hungerstreik getreten.