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Wie viel Demokratie braucht die EU?

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Politik

Ideen für neuen Konvent, neue EU-Institution. | Rückenwind für EU-Vertragsänderung.


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Brüssel. Das Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichtshofs (BVG) in Karlsruhe wirft einerseits ein Schlaglicht auf die Kräfteverhältnisse zwischen den Parlamenten in den Hauptstädten und dem Europäischen Parlament. Andererseits hat die anlaufende Debatte über eine Änderung des Lissabonner Vertrags weitere Nahrung bekommen. Denn die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert neben einer Wirtschaftsregierung neuerdings auch eine "Stabilitätsunion" zur Rettung des Euro. Weder EU-Vertragsänderungen noch ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen Defizitsünder dürften ein Tabu sein, meinte sie erstmals. Davor hatten schon der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble sowie der scheidende und der neue Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet und Mario Draghi, ein Aufschnüren des Lissabonner Vertrags gefordert.

Der wird vom Karlsruher Gericht scheinbar konterkariert, da es dem deutschen Bundestag unumstößliche Mitsprache bei jeder einzelnen "ausgabenwirksamen solidarischen Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs" zuspricht, die Volksvertretung in Berlin also deutlich aufwertet. Im Gegensatz dazu hatte der EU-Vertrag dem Europäischen Parlament erst vor knapp zwei Jahren umfangreiche zusätzliche Kompetenzen gegeben.

Ein Zeichen für die mangelhafte Konstruktion des Eurorettungsschirms, aber keinen Widerspruch will Othmar Karas darin erkennen, Delegationsleiter der ÖVP im EU-Parlament und Fraktionsvizepräsident der Europäischen Volkspartei: "Wenn erst alle nationalen Parlamente der Euroländer nach Ihren jeweiligen Verfahren, Zeitplänen und Befindlichkeiten dem Aktivwerden des Rettungsschirms zustimmen müssen, wird dessen Handlungsfähigkeit massiv eingeschränkt", meinte er. Doch "solange der Rettungsschirm nur eine Regierungszusammenarbeit ist, ist klar, dass die nationalen Parlamente die demokratische Legitimität schaffen müssen." Wenn aber auf EU-Ebene gemeinsam entschieden werde, sei auch das EU-Parlament die demokratische Kontrollinstanz und die Mitgliedsländer müssten nicht mehr einstimmig entscheiden.

Auf eine Kooperation der nationalen Volksvertretungen und des EU-Parlaments setzt indes der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Europäischen Sozialdemokraten, Hannes Swoboda: Um der schleichenden Entdemokratisierung Europas durch das Doppelspiel von Merkel und dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy entgegenzutreten, sollten die Abgeordneten im Rahmen eines gemeinsamen Konvents eine demokratische und effiziente Wirtschaftsregierung entwerfen. "Letztlich müssen wir den Weg in Richtung einer wirtschaftspolitischen europäischen Institution weitergehen, die dann unter der Kontrolle des Europäischen Parlaments steht", erklärte auch die Grüne Europaabgeordnete Ulrike Lunacek. Sie sei auch für eine entsprechende Änderung des Lissabonner Vertrags, wenn es gleichzeitig "volles Initiativ- und Mitentscheidungsrecht für das EU-Parlament" gebe.

Umstritten ist unter Experten übrigens, ob das BVG-Urteil die Handlungsfähigkeit der deutschen Regierung bei der Eurorettung auf dem europäischen Parkett einschränken könnte. Schließlich muss wohl häufiger als bisher der Bundestag um Zustimmung gebeten werden. Als Gegenargumente waren zu hören, dass laut Richterspruch nur der Haushaltsausschuss des Bundestages seinen Segen geben muss und nicht die Vollversammlung. Der Ausschuss wäre im Anlassfall rasch einzuberufen. In dringenden Fällen könne das Parlament auch künftig im Nachhinein um Erlaubnis gefragt werden, meinte Deutschlands Finanzminister Schäuble laut der "Neuen Zürcher Zeitung".